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Drohnenaufnahme des Eiermannbaus in der Auenstraße 11 in Apolda.
© Stiftung Baukultur Thüringen/IBA Thüringen, Foto Thomas Müller

Eiermannbau Apolda

⸺ Leere Architekturikone jetzt Open Factory

https://www.open-factory.de
Die IBA Thüringen hat den Eiermannbau von 2016 bis 2023 unter dem Leitbild ›Open Factory‹ kooperativ und kollektiv entwickelt. Eine offene Fabrik ist entstanden, d.h. eine kleinteilig organisierte, gewerbliche Gemeinschaft aus Werkstätten, Ateliers, Büros und wechselnden Veranstalter:innen. Ein großes Ressourcenbewusstsein war maßgeblich bei der Projektentwicklung, die beispielgebend ist für eine neue Umbaukultur. Die Wertschätzung des Bestands war immer der Fokus. Im Zuge der Entwicklung des Eiermannbaus definierte die IBA ihre zentrale Leitfrage: Wie wenig ist genug? Sie wurde auch für viele andere IBA Projekte zum Wegweiser.
 
Die zwischen Jena und Weimar gelegene Kreisstadt Apolda war über Jahrzehnte ein wichtiger Produktionsstandort. Doch nach 1989/1990 blieben nur wenige Arbeitsplätze in der Textilindustrie und im Maschinenbau erhalten. Viele der Infrastrukturen und großflächige Industrieareale stehen bis heute leer. Dazu zählte auch eine ursprünglich vom Apoldaer Architekten Hermann Schneider errichtete Weberei, die 1938/1939 nach Plänen Egon Eiermanns für die Total KG zur Feuerlöschgeräteproduktion erweitert wurde. Der damals noch unbekannte Architekt Eiermann setzte die funktionalen und ästhetischen Anforderungen seiner Zeit souverän und zugleich sensibel um. Der modernistische Bestandsumbau macht das Gebäude zu einem bedeutenden Denkmal. 
 
Ab 1994 wurde die Produktion von Feuerlöschgeräten nach und nach eingestellt. Über 5.000 Quadratmeter Nutzfläche und ein zwei Hektar großes Grundstück standen leer — ein Leerstand von außergewöhnlicher baukultureller Qualität und in einer Stadt, die nur wenige Fahrminuten von den nachgefragten Thüringer Hochschulstädten Jena und Weimar entfernt liegt. Die damals fehlende Gebäudetechnik im Eiermannbau war sicherlich ein Grund, warum eine erfolgreiche Innutzungnahme des Gebäudes nicht gelang. Es ist aber auch Ausdruck der Nachfrageschwäche im StadtLand, dass trotz vielfältiger Anstrengungen und Investitionen zwischen 1994 und 2014 keine dauerhaften Nutzungen initiiert werden konnten. Das Denkmal steht beispielhaft für viele hartnäckige Leerstände in ländlichen Räumen, bei denen die Mittel der klassischen Immobilienentwicklung versagen und für die neue Strategien gebraucht werden.
 
2014 hatte sich die Stadt Apolda erfolgreich beim Projektaufruf der IBA Thüringen beworben, um zukunftsfähige Ideen für acht Brachen und Leerstandsareale zu entwickeln — ein Standort war der Eiermannbau. Zentrale Voraussetzung für die Projektentwicklung des Eiermannbaus war der Erwerb der Immobilie durch die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG) im Dezember 2017. Die beiden Landesgesellschaften LEG und IBA arbeiteten Hand in Hand, ab Januar 2018 im Modell der Anhandgabe, geregelt durch einen Staffelmietvertrag. Bis Ende 2023 war die IBA somit Generalmieterin, programmatische Entwicklerin und Placemakerin des Projekts — alles Rollen, die weit über die üblichen Aufgaben einer Bauausstellung hinausgehen.
 
Der Eiermannbau wurde 2018 in das Bundesprogramm Nationale Projekte des Städtebaus aufgenommen, auf das sich die Stadt Apolda gemeinsam mit der LEG und IBA erfolgreich bewarb. Dank der Bundesfördermittel, Zuwendungen des Landes Thüringen und der Eigenmittel der drei beteiligten Partner:innen war nicht nur der Umbau zur Open Factory, sondern eine ganzheitliche städtebauliche Entwicklung mit Gesamtinvestitionen von rund 8,2 Millionen Euro möglich. Auch weil investive und konzeptionelle Maßnahmen gefördert wurden, war dies ein idealer Rahmen für die ambitionierte IBA Projektentwicklung.
 
Die Projektentwicklung zur Open Factory basierte auf dem im ersten IBA Campus 2016 entwickelten Leitbild und einem anschließend erarbeiteten Finanzierungs- und Betreiberkonzept. Der vierzehntägige IBA Campus, der in Kooperation mit der Wüstenrot Stiftung stattfand, war aber auch eine erste gemeinsame Probenutzung des Standorts; viele weitere Teilhabeformate folgten. So fand 2018 ein zweiter Campus als DesignBuild-Projekt statt. Die dabei entstandene, inspirierende Ausstattung nutzte 2019 das vierzigtägige Kunstprojekt ›Hotel Egon‹ im Eiermannbau, das über 300 Übernachtungsgäste anzog. Auch das erste Coronajahr 2020 sollte die kollektive Aneignung des Standorts nicht ausbremsen, also stellte die IBA verschiedene Bereiche im Bau und auf der Freifläche mietfrei zur Verfügung. Die Open Factory erlebte so ihre Generalprobe: Von Juni bis November 2020 arbeiteten insgesamt 188 Menschen im Eiermannbau, eröffneten Ausstellungen, gaben Konzerte und luden hunderte Gäste ein. Es war der Beweis, dass die Architekturikone ein großartiger und passender Ort für Kunst und nachhaltige Produktion ist. Auch an der folgenden Planungs- und Umbauphase waren viele beteiligt: So wurde das Freiflächenkonzept gemeinsam mit ersten Pioniernutzer:innen entwickelt, Studierende und Apoldaer Schüler:innen waren unmittelbar am Umbau beteiligt.
 
Verwoben mit der kollektiven Aneignung fand der schrittweise Ausbau statt. Im Jahr 2018 entwarfen die Architekt:innen des IBA Teams zuerst eine Pilotfläche, d.h. ein Ausbaukonzept für 750 Quadratmeter im zweiten Obergeschoss, die seitdem IBA Büro und Showroom waren. Die Herausforderung bestand darin, die einfachverglasten Räume mit simplen Mitteln ganzjährig nutzbar zu machen und zugleich den Denkmalanforderungen und der Ästhetik der Moderne gerecht zu werden. Es ging um ein kreatives Unterlassen, nicht als Einschränkung der Nutzungsqualität, sondern um Nutzungen im nachfrageschwachen Kontext überhaupt wieder zu aktivieren. Und so wurde eine besondere Haus-in-Haus- Lösung entwickelt: 15 kleine Industriegewächshäuser auf Holzsockeln wurden als Büros eingebaut. Die bisher fehlende Gebäudetechnik wurde auf zentralen Trassen realisiert, so bleiben die Flächen nutzungsneutral. Zur Temperierung der Hallen wurden Deckenstrahlplatten installiert, die Temperatur in den Gewächshäusern wird durch Infrarotheizkörper individuell gesteuert. Es ist ein Lowtech-Konzept, das auch auf organisatorische Lösungen wie Querlüftung und Nachtabkühlung setzt. Das Heizkonzept basiert auf dem temperierten Makroklima der Hallen von maximal 15 Grad und dem Mikroklima in den Gewächshäusern. Dem Open-Source-Gedanken treu bietet die IBA ihre Gewächshaus-Lösungen online frei zugänglich an, der Ausbau wurde in großen Teilen durch ein studentisches Team realisiert. 
 
In den Jahren 2022 und 2023 fanden dann der Gesamtausbau und die baulichen Vorbereitungen für die Entwicklung der Freifläche statt. Die minimalinvasive Umbaustrategie basiert auf rückbaubaren und erneuerbaren Eingriffen und dem Reparieren und Pflegen des Vorhandenen. Auch Eiermanns respektvolles Weiterbauen ist dafür ein Vorbild. Lediglich 350 Euro pro Quadratmeter Bruttogeschossfläche wurden letztendlich investiert, der Mietzins liegt bei 4,50 Euro pro Quadratmeter.
 
Ein im Projektzeitraum erarbeitetes Ressourcenschutzkonzept dient dabei als Kursbuch für einen konsequent nachhaltigen Weg. Es richtet sich an die Projektbeteiligten der Open Factory, von der Eigentümer:in bis zu den Nutzer:innen, und formuliert die Vision für ein sozial-ökologisches Miteinander für den Standort. Denkanstöße zeigen, wie weitere Entwicklungen und der Betrieb der Open Factory innerhalb planetarer Grenzen möglich sind. Das Freiflächenkonzept samt Rahmenplan dient der zukünftigen Entwicklung der zwei Hektar großen Fläche am Eiermannbau. Hier hat sich ein wertvoller Artenreichtum entwickelt, der zum Ausgangspunkt für die Entwicklung der gewerblichen Baufläche wird. Beide Konzepte setzen neue Maßstäbe für eine nachhaltige, auch landschaftsbezogene Entwicklung mit einer hohen Verbindlichkeit der Umwelt gegenüber.
 
Nach vielen Jahren der gemeinsamen Aktivierung ist die Open Factory Konzept und gleichzeitig Wirklichkeit. Sie wurde ein Ort zum Arbeiten, Vernetzen und Veranstalten — ein Experimentierraum dazu. Die ersten Mieter:innen zogen ein und die Nachfrage steigt. Start-ups, Unternehmen und Initiativen, Künstler:innen und Forscher:innen sind eingeladen, sich diesen inspirierenden Ort in Apolda anzueignen und ihn gemeinsam weiterzuentwickeln.

Ort

Open Factory Eiermannbau

Auenstraße 11
99510 Apolda

Projektträger:inner

Kooperationspartner:in

Planungsbeteiligte

Meilensteine

30.09.2014

Stadt Apolda wird mit Projektskizze ›Apolda, Apolda – Nächster Halt Zukunft!‹ IBA Kandidat

17.10.2014

Vorprojektphase mit Konzeptentwicklung für Gebietskulisse Bahnhof Apolda

15.06.2016

Format IBA Campus 2016 schafft Leitbild Open Factory

11.05.2017

IBA Büro temporär im Eiermannbau

22.12.2017

Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) Thüringen wird Eigentümerin

02.02.2018

Fachbeirat empfiehlt IBA Projektstatus

31.05.2018

IBA Salon zum Start der Projektentwicklung Open Factory

05.08.2018

Format IBA Campus 2018 schafft Basisausstattung an Möbeln

23.10.2018

IBA Büro fertiggestellt

01.05.2019

Zwischenpräsentation IBA Thüringen im Eiermannbau beginnt

05.07.2019

Format ›Hotel Egon‹ lädt zu Übernachtungen ein

15.10.2019

Aufnahme in Bundesprogramm ›Nationale Projekte des Städtebaus‹

20.04.2021

Ressourcenschutzkonzept für nachhaltige Standortentwicklung fertiggestellt

01.07.2021

Format ›Eintritt frei!‹ lädt zu Probenutzungen ein

30.09.2021

Freiflächenkonzept für nachhaltige Standortentwicklung fertiggestellt

03.01.2022

Beginn Umbau Eiermannbau

03.03.2023

Feierliche Wiedereröffnung des Eiermannbaus und Aufnahme in die IBA Abschlusspräsentation

04.05.2023

Zentrale IBA Abschlussausstellung im Eiermannbau eröffnet

19.06.2023

Beginn STADTLAND Foren im Eiermannbau