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Die Erfahrungen, Erkenntnisse und Empfehlungen aus zehn Jahren IBA wurden in einem abschließenden Positionspapier zusammengefasst, das am 18. Oktober 2023 im Erfurter Landtag vorgestellt wurde. Foto: Thomas Müller
Die Landtagspräsidentin Birgit Pommer eröffnete das StadtLand Parlament und übergab die Regie dann an die IBA. Foto: Thomas Müller
Dr. Marta Doehler-Behzadi war ab 2014 die Geschäftsführerin der IBA Thüringen. Sie machte zu Beginn des StadtLand Parlaments klar, dass es nach zehn Jahren Projektarbeit darauf ankäme, aus den Erkenntnissen der IBA zu lernen und sie zu verstetigen. Foto: Thomas Müller
Vorgetragen wurden die im Positionspapier festgehaltenen 15 Empfehlungen von IBA Projektleiter:innen , deren Projektpartner:innen und dem IBA Fachbeirat. Foto: Thomas Müller
Christopher Kaufmann vom Verein Landengel (links im Bild) und Frank Baumgarten von der Stiftung Landleben (rechts im Bild) entwickelten mit der IBA das Projekt Gesundheitskioske und Landzentrum. Sie bearbeiten seit langem das Thema Daseinsvorsorge auf dem Land.
Gerd Zimmermann (links im Bild) war als ehemaliger Hochschuldozent und Präsident der Stiftung Baukultur Thüringen immer eng mit der IBA Thüringen verbunden. Gemeinsam mit Thomas Zirkel, Hauptgeschäftsführer des Landessportbunds Thüringen und Projektträger des SEZ Kloster, sprach er über die Notwendigkeit regionaler Kreisläufe für eine nachhaltige Architektur und Stärkung des Wirtschafts- und Sportstandorts Thüringen. Foto: Thomas Müller
Manuel Slupina (links im Bild) und Dr. René Hartmann (rechts im Bild) waren als Projektleiter der Wüstenrot Stiftung wichtige Partner bei der Programmgestaltung des StadtLand Forums, in dem auch das StadtLand Positionspapier vorbereitet wurde. Foto: Thomas Müller
Ines Kinsky begleitete die IBA Vorhaben im Schwarzatal. Als Regionalmanagerin der LEADER-Aktionsgruppe Saalfeld-Rudolstadt ist sie eine wichtige Ansprechpartnerin in Förder- und Projektfragen.
Inge Klaan ist die Geschäftsführerin der SWG Nordhausen und Projektträgerin bei der Sanierung des Ossietzky-Hofs in Nordhausen-Nord. Damit ist sie Vorreiterin und Wegbereiterin für energetisch kluge Quartiersentwicklungen.
Katrin Hitziggrad ist im Vorstand der LeerGut-Agenten, einem Netzwerk, das sich aus der IBA heraus gegründet hat. Sie setzt sich für die Belebung von Leerstand ein. Foto: Thomas Müller
Dipl-Ing. Ines Jauck ist seit 2023 Präsidentin der Architektenkammer Thüringen. Sie unterstützte bei der Neuaufstellung der Stiftung Baukultur Thüringen, die auch das Erbe der IBA managt. Foto: Thomas Müller
Hanka Giller ist die Leiterin des Amts für Jugendarbeit/Sport/Soziales in Saalfeld/Saale. Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen setzt sie sich seit Jahren für einen Ort des Ankommens an der Beulwitzer Straße ein, wo viele Geflüchtete in alten Kasernenwohnungen untergebracht sind. Hier entsteht ein Werkhaus aus Holz. Foto: Thomas Müller
Barbara Pampe ist Vorständin der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft und Kooperationspartnerin des IBA Projekts StadtLandSchule Weimar, deren Phase 0 die Stiftung finanziert hat. Das aus dem Projekt generierte Wissen stellt die Stiftung als Open Source zur Verfügung, weitere Schulprojekte werden folgen. Foto: Thomas Müller
Ilka Drewke ist die Schulleiterin der StadtLandSchule und mit der Stadt Weimar Projektträgerin. Sie organisierte die Mitwirkung der Schulgemeinschaft am Projekt und motivierte Lehrer-, Eltern- und Schülerschaft, sich am Planungsprozess zu beteiligen. Foto: Thomas Müller
Michael von der Mühlen war ab 2018 Fachbeiratsvorsitzender der IBA Thüringen. Er begleitete des IBA Prozess als Berater intensiv. Foto: Thomas Müller

StadtLand Positionen

⸺ Erfahrungen, Erkenntnisse und Empfehlungen zum Abschluss der IBA Thüringen

Von Juni bis September 2023 haben sich die Thüringer IBA Akteur:innen mit über 600 Beteiligten in einem mehrteiligen Debattenformat über die Zukunft der ländlichen Räume ausgetauscht. Dieses StadtLand Forum wurde von der IBA Thüringen und der Wüstenrot Stiftung veranstaltet. Die Foren waren überregionale Plattform und Lernort in einem und ein wichtiger Meilenstein zum StadtLand Positionspapier.

Im Jahr 2012 wurde die Internationale Bauausstellung (IBA) Thüringen ins Leben gerufen, im Jahr 2023 endete sie. Gemeinsam mit Städten und Gemeinden, Landesgesellschaften, Aufsichts- und Fachbeiräten, Unternehmen, Vereinen, Genossenschaften, Initiativen und Privatpersonen hat sie ressourcenbewusste Projekte mit gemeinwohlorientierten Werten in und für Thüringen entwickelt: innovativ, experimentell, zum Nachahmen. Rund 1.400 Menschen gehören dem engeren und weiteren IBA Netzwerk an. Die resultierenden Erfahrungen, Erkenntnisse und Empfehlungen sind im folgenden Positionspapier zusammengefasst, das am 18. Oktober 2023 im Erfurter Landtag vorgestellt wurde. Es richtet sich an die Politik und Verwaltung des Freistaats Thüringen sowie an wichtige Verbündete bei der Entwicklung des Landes. An seiner Ausarbeitung hat der IBA Fachbeirat mitgewirkt.

StadtLand Thüringen 
Heimat in der Welt

Die Thüringer Siedlungsstruktur ist kleinteilig, historisch reich und landschaftlich schön. Etwa 90 Prozent des Landes kann man als ländlich charakterisieren. Die IBA Thüringen nennt dies StadtLand. Die Anlässe, eine Internationale Bauausstellung durchzuführen, resultierten aus der ungleichen demografischen Entwicklung zwischen Stadt und Land sowie aus Struktur- und Klimawandelprozessen. Sie verdichteten sich im Laufe der IBA unter dem Einfluss von sich gegenseitig verstärkenden Krisen, sie betreffen Stadt und Land gleichermaßen und sie reichen von der regionalen Ebene bis in den globalen Maßstab. Anstelle der veralteten Gegensätze zwischen Stadt und Land hat die IBA die Verflechtungen in den Blick genommen. StadtLand wie es die IBA Thüringen praktiziert hat, unterwandert das hierarchische Gefälle von Zentrum zum Umland und in die Peripherie, wo das Land so oft zum Verlierer wurde. Heute zeigt sich, dass das gegenseitige Ausspielen von Stadt und Land keine faktische oder politische Option mehr ist. Eine gerechte, ausbalancierte Raumentwicklung von Stadt und Land ordnet sich ein in das planetare Thema zur Eindämmung des Klimawandels. Beides steht im Zusammenhang; die Thüringer Heimat ist in der Welt. Die IBA Thüringen hat mit StadtLand eine neue Erzählung geschrieben, die IBA Projektprozesse im ganzen Land sind deren Kapitel. Diese Erzählung ließ sich im Freistaat in Thüringen ideal entfalten. Hier haben engagierte und kreative Menschen Projektprozesse auf den Weg gebracht, die in die Zukunft weisen. Hier fand die Kommunikation auf Augenhöhe statt. Aus Ideen wurden Konzepte, aus Planungen wurde Realität. Trotz der schwieriger gewordenen Bedingungen und der großen ›Weltsorgen‹, die derzeit viele Menschen umtreiben, hat die IBA gezeigt: Und es geht doch! In unserem Teil der Welt und in einer demokratischen Gesellschaft sind wir in der Lage, unsere Zukunft zu gestalten. Nun kommt es darauf an, aus den Erfahrungen und Erkenntnissen aus den IBA Projektprozessen zu lernen und sie zu verstetigen.

Worum es geht


Gerechtigkeit und regionale Ermächtigung

Die Arbeit der IBA Thüringen verlief seit ihren Anfängen in einem sich rasant verändernden gesellschaftlichen Koordinatensystem. Insbesondere die ländlichen Räume sind in den letzten Jahren zu einem politisch vordringlichen Thema geworden. Ein anhaltender politischer Stresstest für den demokratischen Zusammenhalt der Gesellschaft ist nicht allein in ländlichen Räumen auszumachen, wird aber gerade dort mit dem Vorwurf verbunden, ›abgehängt‹ zu sein. So ist der Verfassungsgrundsatz zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse wieder auf die Tagesordnung gelangt. Er ist zu einer Gerechtigkeitsfrage im Raum geworden. Zwar arrangieren sich die meisten Menschen lebenspraktisch — wo sie einkaufen, wie sie zum Arzt gelangen, wann der Bus fährt — aber zu oft fällt ihre Bilanz zu den Realitäten des Alltags negativ aus. Mehr noch: oft vermissen sie die Wahrnehmung ihrer Sorgen. Daher muss eine neue Lesart der Daseinsvorsorge entworfen, politisch verhandelt und standortkonkret umgesetzt werden. Die Akteurinnen und Akteure müssen ermächtigt werden, ihre Vorstellungen von einem guten Leben vor Ort selbst zu gestalten. Auch der Dorfladen, die Dorfkneipe und das Dorftaxi können dazugehören. Sie erhalten als regionale Gemeingüter eine Chance. Die Akteure müssen ermächtigt werden, ihre Vorstellungen von einem guten Leben vor Ort selbst zu gestalten. Freilich kann man es der Bürgerschaft bzw. Zivilgesellschaft nicht allein überlassen, Angebotslücken zu schließen. Gebraucht werden vielmehr neuartige, kluge und flexible Kooperationsmodelle und Governancestrukturen — privat-kommunal-staatlich-zivilgesellschaftlich. Und das Ehrenamt braucht das Hauptamt.

Klimaschutz, Bau- und Landwende


Klimaschutz und Klimaanpassung müssen zur Grundlage allen Handelns werden. Allein der Gebäudesektor ist für etwa 40 Prozent des klimaschädlichen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Daher wächst der Bauwende Dringlichkeit und Eile zu. Priorität hat der Aufbruch in den Bestand, Umbauen heißt die Devise. Und dort, wo noch neugebaut wird, sollen bevorzugt nachwachsende und wiedergewonnene Baustoffe aus der Region eingesetzt werden. Dann beweisen sich die stofflichen und energetischen Beziehungen zwischen Stadt und Land ganz konkret und im regionalen Zusammenspiel. Eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft in ländlichen Räumen wird dabei künftig eine zentrale Rolle spielen. Wo, wenn nicht auf dem Land sollen erneuerbare Energien und nachwachsende Rohstoffe ›geerntet‹ werden? Wie, wenn nicht in räumlichen Nachbarschaften werden zirkuläre Modelle von Gebrauch und Wiedernutzung organisiert? Schon heute werden in der Fläche heftige Nutzungskonkurrenzen ausgetragen: Teller oder Tank, Landwirtschaft oder Naturschutz, Windrad oder schöne Aussicht. Eine Antwort auf solche Konflikte lässt sich überzeugend nur mit einer integralen Perspektive geben. Wir brauchen ›Multiländer‹ statt ›Monolandschaften‹. Gelingt eine integrierte Entwicklung, wird sich das Land als Standort für qualifizierte und gut bezahlte Arbeit, für Sinnstiftung und Wertschöpfung beweisen. Es wird dann wieder gute Gründe geben, auf dem Land zu leben.

Leerstand ist Ressource: LeerGut

Der Gebäudebestand ist Speicher, Lager und graue Energie. Er ist kollektives Gedächtnis, stellt einen ökonomischen Wert dar, ist Flächenreserve und Nutzungspotenzial. Das StadtLand Thüringen hat opulente Bestände, wertvolle Häuser, geschützte Ensembles — und einen hohen Leerstand. Aktuelle bundesweite Studien zeigen, dass Interessentinnen und Interessenten aus der Stadt verstärkt Domizile auf dem Land suchen. Das Thüringer StadtLand könnte ihnen viele Angebote unterbreiten. Aber noch immer wird an prosperierenden Standorten und ›auf der grünen Wiese‹ neu gebaut. Um zum Klimaschutz beizutragen, müssen die Potenziale des Bestands erschlossen werden. Das heißt im übrigen auch, das StadtLand genau dort zu stärken, wo sich die leeren Gebäude nun einmal befinden. Werden Häuser geöffnet, kann man Neugierde wecken und mit Zwischennutzungen experimentieren. In der Umbewertung zur Ressource wird aus Leerstand ein LeerGut. Stets ist zu fragen: Wie wenig ist genug? Die Logik des Bestands führt zu einfachen Lösungen, die resilient, weniger riskant und teuer sowie konservatorisch integer sind.

Arrival StadtLand

In Deutschland und Europa wird über die Migrationspolitik gestritten, der Ausgang ist offen. Währenddessen suchen Geflüchtete Sicherheit, Perspektive und Lebensunterhalt. Auf der anderen Seite werden in Handwerk, Pflege, Gastronomie usw. Arbeitskräfte händeringend gesucht. Beides kommt nur schwer und zu langsam zusammen. Angesichts des demografischen Wandels braucht Thüringen Einwanderung. Das Ziel muss eine gelingende Integration sein. Diese ist wiederum auch dem Arbeitsmarkt zuträglich, wo Geflüchtete eine sinnstiftende Beschäftigung, Kontakte und Chancen finden. Soziale sowie Kunst- und Kulturprojekte ermöglichen Begegnung und Verständigung.

Ermöglichungspolitik braucht Ermöglichungsstrukturen

Transformationsaufgaben stellen Neuland dar. Hier müssen bislang nicht praktizierte Vorgehens- und Gestaltungsweisen erprobt werden. Im Rahmen der IBA Thüringen haben zahlreiche engagierte, kreative und hartnäckige Akteurinnen und Akteure ihre konkreten Antworten auf die großen gesellschaftlichen Anforderungen ›vor ihrer Haustür‹ gefunden und umgesetzt. Sie waren das soziale Kapital dieser IBA, sie sind die Avantgarde auch für zukünftige Veränderungen. Das schließt ausdrücklich die Unterstützerinnen und Unter- stützer in großen Gesellschaften, kommunalen Verwaltungen, in der Politik und in ministeriellen Strukturen und Behörden ein. Aber überall, so muss man konstatieren, ist der erforderliche Kräfteeinsatz für die anstehenden neuen und meist zusätzlichen Aufgaben sehr hoch — und der politische Preis von gescheiterten Vorhaben und Enttäuschungen ebenso. Wir brauchen eine Kultur der Mutigen und eine Praxis für Mutige. Daher sollte ein politischer Rahmen für Ermöglichungsstrukturen aufgespannt werden. Die veränderungsbereiten Menschen brauchen Vertrauensvorschuss, praktische Wegbegleitung und politische Rückendeckung.

Dem Wandel ein Gesicht geben

Transformationsprozesse müssen gestaltet werden. Baukultur ist keine Dekoration, es geht vielmehr darum, Veränderungen sichtbar zu machen und auf diesem Weg Verständlichkeit und Akzeptanz herzustellen. Umbaukultur, Holzbau und das Bauen mit nachwachsenden Baustoffen können zu einem zeitgenössischen, regionalen Markenzeichen ›Made in Thüringen‹ werden. Die so im Bestand mobilisierten Gebäude, neue Ensembles und gestaltete Landschaften können sogar zur touristischen Destination im Freistaat werden. Sie machen neue Zielgruppen auf Thüringen aufmerksam. Die Wertschätzung von außen stärkt das Wir-Gefühl von Gemeinschaften, Gemeinden und Regionen nach innen. Die Thüringer Stiftung Baukultur wird das kommunikative Erbe der IBA Thüringen nach 2023 fortführen.

Empfehlungen

1. Regionen als Handlungsraum verstehen

StadtLand heißt, den Blick zu weiten. Die Region ist für viele der anstehenden Transformationsaufgaben der angemessene Handlungsraum. Hier werden StadtLand Beziehungen konkret; die Regionen vergewissern sich der eigenen Ressourcen und Talente. Bereits andernorts erprobte Formate der Zusammenarbeit im regionalen Maßstab (u. a. Regionale, Festival der Regionen) sollen auf ihre Eignung für Thüringen geprüft, angepasst und gefördert werden.

2. Klimaschutz priorisieren

Klimaschutz und -anpassung sind zu Aufgaben von herausragender Bedeutung geworden. Hier kommen auf alle Akteurinnen und Akteure und sämtliche Handlungsebenen neuartige, umfassende und komplexe Aufgaben zu — und das in kürzester Zeit. Die Verantwortlichen wiederum müssen nicht nur in die Pflicht genommen werden, sie brauchen auch dringend und rasch die regulativen, finanziellen und personellen Voraussetzungen, um erfolgreich tätig zu werden.

3. Boden dem Gemeinwohl stiften

Boden ist nicht vermehrbar. Gemeinwohlorientierte Entwicklungsabsichten wie auch Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele lassen sich mit Immobilien- und Grundstücksbesitz im Gemeineigentum deutlich leichter verwirklichen. Damit kann man überdies spekulativen Zwecken entgegentreten, dies sowohl in Siedlungsgebieten wie auch in der Land- und Forstwirtschaft. Ein Vorkaufsrecht für Kommunen, ein staatlicher Bodenfonds und ähnliche Instrumente können das wirkungsvoll untersetzen.

4. Mehr Orte für viele schaffen

Im Rahmen der IBA Thüringen sind Orte von vielen für viele entstanden und mit ihnen kluge Organisationsformen und Betreiberstrukturen. Auch zukünftig sollen zum Beispiel Genossenschaften, Vereine, Stiftungen und das soziale Unternehmertum gefördert werden. Sie müssen nicht unbedingt eine satte Rendite erwirtschaften, auch eine ›schwarze Null‹ und selbst die Verringerung von Verlusten und Verlusterfahrungen kann man einpreisen.

5. Gesundheitsvorsorge auf dem Land ermöglichen

Gesundheitsvorsorge und Pflege von älteren Menschen werden zur großen gesellschaftlichen Herausforderung. Sie dürfen nicht allein wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden, denn sie leisten einen Beitrag zur Lebensqualität und vermeiden soziale Isolation, gerade in ländlichen Räumen. Projekterfahrungen der IBA Thüringen können sich in der Fläche vervielfachen. Um die Bedingungen für das Älterwerden und Gesundbleiben auf dem Land zu verbessern, braucht es viele weitere Ideen und Experimente. Dabei müssen Gesundheitsvorsorge und Pflege übersektoral, ambulant und effektiver als bisher entwickelt werden.

6. Regionale Ressourcen nutzen

Um regionale Kreisläufe praktisch umzusetzen, sind die Möglichkeiten des öffentlichen Vergaberechts zu Gunsten der Verwendung regionaler Ressourcen zu stärken. Konkrete Vorgaben des Landes zu umweltbezogenen Kriterien können eine vergabesichere Umsetzung unterstützen.

7. Baumaterialien wiederverwenden

Im Sinne einer gelebten Nachhaltigkeit ist die Wiederverwendung von Baustoffen und Bauteilen zu fördern. Dazu können einfache Regeln und Kriterienkataloge entwickelt und den Projektträgern zur Verfügung gestellt werden. Erforderliche Prüfverfahren sollen ohne große Hindernisse ermöglicht werden; die Einstufung als Abfall ist durch geeignete Regeln zu vermeiden. Für neue Gebäude soll ein Gebäuderessourcenpass erstellt und vorgehalten werden.

8. Genehmigungen an Klimaziele knüpfen

Vorhaben, die den Klimazielen des Landes entgegenstehen, sind schon jetzt unzulässig. Als Genehmigungsvoraussetzung im Bauen sind dafür aber auch konkrete CO2-Werte vorzugeben, regelmäßig den Zielen anzupassen und einzuhalten. Entsprechende CO2- Bilanzierungsmethoden sind einheitlich festzulegen und die entsprechende Software kostenfrei zur Verfügung zu stellen.

9. Phase Null und Phase 10 fördern

Bei wichtigen Bauvorhaben soll eine professionell begleitete Phase der Bedarfs- und Programmentwicklung als Fördervoraussetzung festgelegt werden. In den partizipativen Prozessen sind insbesondere die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer maßgebend. Die sogenannte Phase Null soll als förderfähig eingestuft werden. Auch die Evaluierung von Vorhaben (Phase 10) wird dann zum förderfähigen Bestandteil der Dokumentation.

10. Wissen frei zugänglich machen

Wiederkehrende Bauaufgaben sollten als Modelle kommuniziert und die dabei gewonnenen Kenntnisse zur Nutzung angeboten werden. Öffentlich finanziertes Planungswissen wird so öffentlich zugänglich gemacht. Die Vereinbarung erweiterter Nutzungsrechte (open source) in den Planungsverträgen vereinfacht die Weiterentwicklung und Nachahmung von guter Praxis und erhöhen die Planungssicherheit. Rechtssichere Empfehlungen sind den öffentlichen Auftraggebenden zur Verfügung zu stellen.

11. Transformationslotsen unterstützen

Dringend benötigt werden verbindliche, engagierte und andauernde Verfahrens- und Prozessbegleitungen: Transformationslotsen. Diese sind angesichts der Wucht von neuen Herausforderungen nicht nur für die besonders kleinen Gemeinden mit überschaubarer personeller Ausstattung notwendig oder hilfreich. Man kann deren Tätigkeit auf unterschiedliche Weise institutionalisieren und finanzieren, Kernpunkt ist jedoch stets, sich konsequent auf die Seite der zu beratenden Akteurinnen und Akteure zu stellen und sie langjährig zu begleiten.

12. Schneller fördern

Menschen gestalten Veränderungen. Man kann den Aktiven durch eine schnelle Unterstützung und ›kleines Geld‹ helfen. Dies gilt insbesondere für die Anbahnungsphase und für Beteiligungsprozesse. Gerade für Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft stellen kleine Beiträge eine unbürokratische Hilfe dar. Gleichzeitig wird mit dieser Unterstützung zum Ausdruck gebracht, dass man ihnen vertraut. Exzellenz und Innovation bei der Umsetzung der Transformationsaufgaben sollten darüber hinaus gewürdigt werden, etwa könnten Projekttragende, die eine besondere Qualität im Klimaschutz nachweisen, Bonuspunkte sammeln. Der Eigenanteil bei künftigen Förderungen könnte so abgesenkt werden.

13. Experimentalräume vergrößern

Auch nach der IBA sollen Experimentalräume für offene Projektprozesse ermöglicht werden. Analog zum Gebäudetyp E=Experiment (Vorschlag der Bundesarchitektenkammer zur Abweichung von unnötigen und überzogenen bautechnischen Regeln im Gebäudesektor) könnte ein städtebaulicher Quartiers- und Regionstyp E eingeführt werden. Hier werden die Instrumente den Bedingungen angepasst — nicht umgekehrt. Die Kontrolle von Mitteleinsatz und Erfolg kann unabhängig und prozessbegleitend mittels einer Vereinbarung erfolgen. Das Lernen in Prozessen wird in die Prozesse zurückgeführt.

14. Debatte zwischen Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung verstetigen

Für eine zukunftsfähige StadtLand-Praxis und -Politik brauchen die Akteurinnen und Akteure eine gemeinsame Stimme. Dazu soll der direkte Austausch mit der Landespolitik und -verwaltung gestärkt werden. Auf Basis der etablierten IBA Netzwerke könnte ein jährliches StadtLand Forum der Aktiven und Engagierten einberufen werden. Dessen Positionen und Empfehlungen könnten als StadtLand-Bericht in den Thüringer Landtag eingebracht werden.

15. Stiftung Baukultur Thüringen stärken

Die Internationale Bauausstellung Thüringen GmbH endet am 31.12.2023. Wesentliche Aufgaben zur Zukunftsgestaltung im StadtLand Thüringen bestehen jedoch fort. Die Stiftung Baukultur Thüringen und IBA Thüringen pflegten bereits in der Vergangenheit eine gute Kooperation. Die Stiftung wird sich in Zukunft insbesondere für ein Gelingen der Bauwende in Thüringen engagieren und versteht sich dabei als Plattform: für Kommunen, Verwaltung, Hochschulen, Planende und Initiativen gleichermaßen. Ihre Aufgabe liegt auch darin, das IBA Erbe im StadtLand Thüringen zu pflegen und aktiv zu kommunizieren. Damit können die Ergebnisse der IBA Thüringen nachhaltig gesichert werden.