Landzentrum Dorfregion Seltenrain
⸺ Kollektives Umbauen auf dem Land
Der ländliche Raum ist vielerorts vom strukturellen und demografischen Wandel geprägt, so auch die Gemeinde Sundhausen in der Thüringer Dorfregion Seltenrain. Insbesondere die größeren Infrastrukturen wie Gemeindehäuser, Gaststätten und Geschäfte stehen oftmals in zentraler Lage leer oder sind kaum genutzt. Die in der Region Seltenrain entwickelte soziale Gesundheitsinfrastruktur bietet hier einen Neuanfang für die leerstehenden alten Infrastrukturen. Mehr noch: Durch die Rückkehr von Versorgungsangeboten in die Orte werden diese auch wieder attraktiver für den Zuzug nicht nur junger Menschen.
Die gemeindeübergreifende Stiftung Landleben und der angeschlossene Verein Landengel e. V. bauen ein neues Gesundheits-, Pflege- und Versorgungsnetzwerk in der Dorfregion Seltenrain auf. Neben den Gesundheitskiosken gehört dazu das Landzentrum in Sundhausen mit Gesundheitsangeboten und Dienstleistungen unter einem Dach. Das früher als Dorfkonsum genutzte Gebäude wird dazu im Rahmen eines gemeinschaftlichen Bauhüttenprozesses klimagerecht und ressourcenschonend unter Wiederverwendung von Materialien aus dem Baustoffkreislauf umgebaut. Der Bauhüttenprozess ist als Lernbeispiel zu verstehen, wie Impulse in struktur- und finanzschwachen Regionen durch einen kollektiven Bauprozess entstehen. Die Entwicklung des Landzentrums verfolgt den Umbau von zwei Standorten. Während der leerstehende frühere Landkonsum für gemeinwohlorientierte Gesundheitsangebote und als sozialer Treffpunkt umgebaut wird, ist die Umwandlung eines nahe gelegenen Dreiseithofs in einen Kindergarten, eine Tagesstätte und für Therapieräume geplant. Eine erste Studie aus dem Jahr 2020 vom Atelier Fanelsa und L.I.S.T. GmbH aus Berlin schlug für den Umgang mit dem Bestand einen minimalinvasiven Eingriff für den Konsum und ein Weiterbauen des Dreiseithofs vor.
Das ehemalige Konsumgebäude, im Besitz der Gemeinde Sundhausen und seit einigen Jahren ungenutzt, steht seit 2021 im Fokus der Entwicklung. Gemeinsam mit den Partner:innen vor Ort und der IBA Thüringen organisiert dazu das Fachgebiet CODE / Entwerfen und Baukonstruktion von der Technischen Universität Berlin einen Bauhüttenprozess mit Unterstützung der Sto-Stiftung. Das Format Bauhütte vereint von Beginn an alle am Bau beteiligten Personen, Gewerke und Produzent:innen und fördert gleichzeitig deren ganzheitliche Ausbildung. Komplexe Aufgaben werden gemeinsam gelöst, um zum bestmöglichen Ergebnis zu kommen. Die Kompetenz der Einzelnen wird so um das Wissen des jeweils anderen geschult. Was an Komplexität historischer Bauhütten in der Größe der Baumaßnahme (wie Kirchen) begründet lag, spiegelt sich heute auch in Kleinstprojekten wider. Bauen ist unabhängig vom Maßstab ein hochkomplexes Konstrukt geworden. Der damit verbundene Aufwand ist insbesondere für kleinere Architekturen unverhältnismäßig hoch.
Ziel der Bauhütte in Sundhausen ist der kleinstmögliche Eingriff mit der größtmöglichen Wirkung, denn nicht nur der Umbau von Bestand, auch der Umfang des Eingriffs bestimmt den Nachhaltigkeitswert. Die (Wieder-)Verwendung von nachwachsenden Materialien wie Holz und ein klimaschonendes Energiekonzept bilden die Grundlage der Box-in-Box-Architekturlösung. Das Bestandsgebäude wird dabei als Hülle definiert, in die einzelne Holzeinbauten gestellt werden. Das gliedert die Räume und Nutzungen neu und ermöglicht durch Wandverschiebungen flexible Unterteilungen und Zugänge. Durch die Holzständerkonstruktion mit Holzfaserdämmung wird mit wenigen Eingriffen ein neues Raumklima geschaffen. Die Wärmeversorgung ist über Infrarotheizungen gewährleistet, zukünftig ist die solare Stromerzeugung geplant. Insgesamt fünf Bauhütten wurden innerhalb eines Jahres durchgeführt. Bei der fünften im September 2022 gab es internationale Beteiligung: Neben der Technischen Universität Berlin haben die Technische Universität Delft, die Veldacademie Rotterdam, die Technische Universität Wien, die Katholische Universität Santiago de Chile, die Bauhaus-Universität Weimar, die AG TUN — Textil & Nachhaltigkeit und Maler-Fachschulen aus ganz Deutschland Lehrende, Studierende und Auszubildende nach Sundhausen entsandt. Etwa 50 Gäste bauten und lebten in Sundhausen mit den 370 Einwohner:innen.
Neben der internationalen Verstärkung schenkte das Het Nieuwe Instituut Rotterdam das Material des vom Architektenbüro MVRDV gestalteten temporären, pinkfarbenen Holzdachs für die Weiterverwendung im Landzentrum an die Stiftung Landleben. Die Veldacademie Rotterdam schickte wiederum Holzmodule eines mobilen Theaters nach Thüringen. Mit einem Aufruf an die Region Seltenrain sammelten die Beteiligten darüber hinaus zusätzlich Textilien zur Wiederverwendung. Damit wurden nicht nur die Inneneinrichtung gebaut, sondern auch der Außenraum des Landzentrums und die Übergänge zwischen beiden Bereichen umgestaltet.
Seit 2022 wird das Landzentrum bereits aktiv als Bürgermeisterei, Dorfkümmerei, Vereinerei genutzt. Weitere Räume sollen für ein neues Modell einer Mietarztpraxis umgebaut werden.
Ort
Landzentrum
Am Anger 74
99947 Sundhausen
Projektträger:inner
Kooperationspartner:in
- Gemeinde Sundhausen
- Agrargenossenschaft e.G. Kirchheilingen
- Gesundes Landleben GmbH
- OptiMedis AG
- Partner:innen des Landengel e. V.
Förderung
- Beteiligte Bauhütten: Technische Universität Berlin, Fachgebiet CODE, Technische Universität Delft, Veldacademie Rotterdam, Technische Universität Wien, Fachgebiet Städtebau, Katholische Universität Santiago de Chile, Fakultät Architektur, Bauhaus-Universität Weimar, Professur für Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung, AG TUN — Textil & Nachhaltigkeit, Berufsschulen aus Deutschland sowie Studierende und Auszubildende der beteiligten Institutionen
- Förderung Bauhütten: Sto-Stiftung, Essen, Internationale Bauausstellung Thüringen GmbH
- Machbarkeitsstudie Landzentrum: Atelier Fanelsa mit L.I.S.T. Stadtentwicklungsgesellschaft GmbH, Berlin
- Projektpräsentation November 2022
- Artikel Baunetz 2022
- Artikel Baunetz Campus 2022
- Artikel Bauhandwerk 5.22
- Interview mit Frank Baumgarten (Stiftung Landleben) und Christopher Kaufmann (Landengel e.V.) im IBA Magazin 2022, S.12
- Artikel ›Gemeinsam Machen - Kooperative Vorsorge auf dem Land‹ im IBA Magazin 2020, S.58
- Artikel Planungspraxis regionaler Initiativen und interkommunaler Kooperation - Neue Materialien zur Planungskultur Nr. 41
- ›Engagiert fürs Dorf‹, Interview mit Frank Baumgarten im IBA Magazin 2019, S.78
- IBA Logbuch, Stand 2019
24.08.2018
Nominierung zum IBA Kandidat
17.11.2021
Start des DesignBuild-Projekts in Kooperation mit der TU Berlin und Sto-Stiftung
02.03.2022
4. Bauhütte startet, Umbau zum Landzentrum
02.09.2022
Nominierung zum IBA Projekt
17.09.2022
5. Bauhütte startet mit internationaler Verstärkung und Maler-Fachschulen aus ganz Deutschland
01.03.2023
Aufnahme in die IBA Abschlusspräsentation