Leubinger Fürstenhügel, Tank- und Rastanlage

Fenster in die Region

Tankstellen, Bahnhöfe, Flughäfen sind als Orte der Mobilität oft austauschbar. Sie beziehen sich nur auf ihren eigenen Nutzen und sind räumlich abgekoppelt. Der französische Ethnologe und Anthropologe Marc Augé prägte für solche monofunktionalen Gebäude den Begriff der Nicht-Orte: Sie sind ohne Geschichte, Identität oder Bezug zu ihrer Umgebung.

Eine Ausnahme ist an der noch jungen Bundesautobahn A71 bei Sömmerda zu finden, wo Mobilität auf Archäologie, Landschaftsgestaltung und Baukultur trifft. In unmittelbarer Nachbarschaft zu einer der bedeutendsten archäologischen Fundstätten aus der frühen Bronzezeit, dem Leubinger Fürstenhügel, entstand eine zukunftsweisende Tank- und Rastanlage. Dort, wo vor rund 4.000 Jahren ein Fürst in dem ursprünglich etwa zehn Meter hohen Grabhügel bestattet wurde.

Von 2010 bis 2015 wurde um den Fürstenhügel die A71 gebaut, sie führt von Schweinfurt über den Thüringer Wald und die Landeshauptstadt Erfurt und weiter nach Sangerhausen. Im Jahr 2013 beauftragte das Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH, kurz DEGES, mit der Suche nach einem oder einer Betreiber:in für den Bau und den Betrieb der geplanten Tank- und Rastanlage. Die Besonderheit dabei: Das Projekt sollte keine Tankstelle wie so viele andere sein, sondern im Rahmen der IBA Thüringen und mit Blick auf die besondere Kulturlandschaft der Region den Bezug zu Geschichte, Identität und Umgebung herstellen.

Mit einem internationalen Wettbewerb startete 2014 die interdisziplinäre Planung aus Hochbauarchitektur, Landschaftsarchitektur und Kommunikationsdesign. Die Aufgabe bestand darin, die Tank- und Rastanlage in den landschaftlichen Zusammenhang des flachwelligen Hügellands sowie in den historischen Kontext einzubetten. Die europaweite Auslobung des Wettbewerbs war ein modellhaftes Verfahren zur Qualifizierung von Infrastrukturmaßnahmen. Den Wettbewerb konnte eine junge Planergemeinschaft aus Berlin mit einem überzeugenden Entwurf für sich entscheiden.

Im September 2017 erhielt die Shell Deutschland GmbH den Zuschlag als Betreiberin der Tank- und Rastanlage und ließ den Siegerentwurf des interdisziplinären Planungswettbewerbs und die Empfehlungen der IBA Thüringen umsetzen. Shell beauftragte die Wettbewerbssieger MONO Architekten, Planorama Landschaftsarchitekten und MUS Studio mit der Ausführungsplanung für die Tank- und Rastanlage, die DEGES war im Auftrag von Bund und Land für die Außenanlagen zuständig. Der Bau der Tank- und Rastanlage begann im Oktober 2018. Die feierliche Inbetriebnahme erfolgte 2021.

TRLF_Drohnenaufnahme Tank und Rastanlage Leubinger Fuerstenhuegel_Foto Thomas Mueller.jpg
Von der Tank- und Rastanlage an der A71 kann man über einen historischen Pfad zum archäologischen Highlight der Region, dem Leubinger Fürstenhügel laufen.
Grundriss EG_Leubinger Fürstenhügel (c) MONO Architekten_Planorama Landschaftsarchitekten_DAS MOMENT.png
Der Baukörper der neuen Rastanlage legt sich als langgestreckter Winkel in den landschaftlichen Kontext. Der orthogonal zur Fahrbahn ausgerichtete Schenkel überdacht die Funktionen der Tankanlage und markiert als großes Tor den Eingang zur Rastanlage. Der zweite Schenkel knickt in Richtung Osten ab und stellt den visuellen Bezug zum Fürstenhügel her. Hier befinden sich alle Funktionen der Raststätte. ©MONO Architekten.
Tank- und Rastanlage Blick ins Bistro, Foto Thomas Müller
Das Projekt drückt mit wenigen, eindeutigen gestalterischen Mitteln Ruhe aus, um einen Ausgleich zur schnellen Autobahn zu bieten. Außerdem will sich die Anlage gegenüber dem historischen Fürstenhügel, dem Namensgeber und Protagonisten an diesem Ort, zurücknehmen.
Ausstellungsgang_Leubinger Fürstenhügel (c) MONO Architekten_Planorama Landschaftsarchitekten_DAS MOMENT.png
Der Laubengang spielt eine zentrale Rolle für die Erschließung der Gesamtanlage: Er empfängt, schützt und leitet die Reisenden zu allen wichtigen öffentlichen Funktionen, zu Tankshop und Raststätte. Auch ein gläsernes Foyer ist an den Laubengang angebunden: Als zentrale Anlaufstelle finde die Besucher:innen hier alle Informationen über den Fürstenhügel. An der nordöstlichen Stirnseite führt der Laubengang auf einen direkten Spazierweg durch die Landschaft zum Fürstenhügel.
Innenraum_TRLF_ThomasMueller.jpg
Eine großflächig verglaste Giebelseite gibt den Blick auf den Fürstenhügel frei. Durch die Verwendung von Holz für Decke und Wände in Kombination mit dem sorgfältig ausgewähltem Mobiliar konnte für den Gastraum eine hohe Aufenthaltsqualität in ruhiger Atmosphäre geschaffen werden.
Gastraum_Leubinger Fürstenhügel Ausstellungsgang_Leubinger Fürstenhügel (c) MONO Architekten_Planorama Landschaftsarchitekten_DAS MOMENT.png
Der Gastraum bietet mit Sitzinseln, Tresen, einem Lounge-Bereich auf der Galerie und eine Spielnische für Kinder eine Vielzahl unterschiedlicher Aufenthalts- und Rückzugsmöglichkeiten.

Neubau und Landschaftsarchitektur des IBA Projekts sind geprägt durch eine zurückhaltende Ästhetik. Einerseits, um den Reisenden eine Atmosphäre der Ruhe und des Rastens zu bieten. Andererseits, um sich gegenüber dem Fürstenhügel, dem Protagonisten an diesem Ort, zurückzunehmen. Als wesentliche Inspirationsquelle für den Entwurf des flachen, langgestreckten Baukörpers diente die Typologie des bronzezeitlichen Langhauses, das seinen gestalterischen Ausdruck in der Dachform findet: Das Dach steigt langsam von der Tankanlage aus zur Firstlinie an und findet am östlichen Kopfende über dem Speise- und Gastraum seinen Hochpunkt. Hier stellt eine großzügige Glasfassade den direkten visuellen Bezug zum Fürstenhügel her. Für die Gebäudehülle kam eine schlichte Aluminiumhaut zum Einsatz, die den ruhigen Gesamteindruck des Bauwerks unterstreicht. Im Inneren erzeugen die mit Vollholz verkleideten Wände und Decken eine warme und freundliche Atmosphäre.

An der Nordseite leitet ein überdachter Laubengang die Besucher:innen zu den beiden Haupteingängen. Diese führen in den Ausstellungsraum, der als Foyer und gleichzeitig Verteiler dient. Eine Dauerausstellung über die frühbronzezeitliche Kultur bespielt die große Holzwand in der Flucht des Gebäudekörpers und setzt sich als Lehrpfad außen fort. Die Ausstellung verbindet so Architektur und Landschaft. Entlang historischer Ereignisse und archäologischer Funde führt der Pfad bis zum Grabhügel und fasst das Realexponat schließlich mit einer kreisförmigen Wegestruktur ein. Bronzestelen und Intarsien im Beton inszenieren den Weg dorthin als Zeitschiene und bieten weiterführende Informationen zu den archäologischen Funden in der Region und den Meilensteinen der Geschichte an. Eine weitere Besonderheit ist die in entgegengesetzter Richtung liegende Landschaftsterrasse im Bereich der Ausgleichsflächen, die die entstehenden Vegetationsbereiche erlebbar macht und einen Rastort mit Blick auf Anlage und Umgebung bietet. Die Reisenden können somit das eigentliche Raststättengelände verlassen, was in Deutschland ungewöhnlich ist. Durch den nahegelegenen Unstrutradweg können aber auch Fahrradfahrende und Wandernde den Zeitreiseweg sowie die Gastronomie nutzen.

Die Tank- und Rastanlage Leubinger Fürstenhügel lädt zum Verweilen ein, was Transitorte sonst selten auszeichnet. Dieses Ensemble führt nicht an der Region vorbei, sondern geradewegs in seine Geschichte hinein. Auf der Höhe von Sömmerda ist es an der A71 nun möglich, eine reiche Kulturlandschaft zu erleben.


Zeitreiseweg_LeubingerFuerstenhuegel_ThomasMueller.jpg
Der rund fünfhundert Meter lange Weg vom Rastgebäude bis zur erhabenen Landmarke des Fürstenhügels ist als Lehrpfad umgesetzt. Der Weg selbst ist als Zeitschiene inszeniert, die entlang geschichtlicher Ereignisse und herausragender archäologischer Funde aufgebaut ist.

Ort


Tank- und Rastanlage Leubinger Fürstenhügel
BAB71
99610 Sömmerda


Konzessionsgeberin



Konzessionsnehmerin



Projektpartner:innen



Förderung



Landschaftsarchitektur

Planorama Landschaftsarchitektur, Berlin



Kommunikationsdesign

  • MUS, Berlin


Wettbewerbsbegleitung

PAD, Weimar



Planung und Oberbauleitung für Konzessionsnehmerin

KMP Bauplanungs- und Projektmanagement, Birkenwerder



Projektsteuerung für Konzessionsnehmerin

Artelia, Hamburg



Auszeichnungen

  • Shortlist DAM-Preis 2023
  • Shell Gold Retailer of the Year 2023
  • Nominierung Deutscher Landschaftsarchitekturpreis 2023
  • Anerkennungspreis Architektenkammer Thüringen 2022


IBA Projektleiterin

Ulrike Rothe




Downloads

Gespräch mit Britta Sauter_IBA Magazin 2022.pdf [pdf]

Projektprozess

Tank- und Rastanlage Leubinger Fürstenhügel im IBA Finale 2023
02.03.23
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Shortlist DAM-Preis 2023
01.09.22
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Anerkennungspreis der Architektenkammer Thüringen 2022
09.06.22
...
Feierliche Gesamtinbetriebnahme der Tank- und Rastanlage Leubinger Fürstenhügel
07.10.21
...
Tankanlage und Ausstellung in Betrieb genommen
31.03.21
...
Projektpartner besichtigen Tank- und Rastanlage bei Baustellenführung
30.06.20
...
Baubeginn für Autobahnraststätte
01.10.18
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IBA Fachbeirat empfiehlt Projektstatus für Tank- und Rastanlage Leubinger Fürstenhügel
29.06.17
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Startschuss für Konzessionsausschreibung Autobahnraststätte A 71 ‚Leubinger Fürstenhügel’
02.09.16
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Tank- und Rastanlage ›Leubinger Fürstenhügel‹: Ausstellungseröffnung und Preisverleihung
15.06.15
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Wettbewerb um Tank- und Rastanlage ›Leubinger Fürstenhügel‹ entschieden
06.05.15
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