Krobitz, Feuerorgel Kapelle
LeerGut im Kleinformat: Kirchenraum füllt sich mit Musik
»Alt und Neu, Tradition und Innovation verbinden sich hier auf ideale Weise. Der innovative Esprit, der behutsame Umgang mit dem Ort und seiner Tradition und die Partizipation und Interaktion von und mit Menschen zeichnen die Kunstkapelle St. Anna in Krobitz eindeutig als IBA Projekt aus.«
Prof. Barbara Holzer, Fachbeirätin der IBA Thüringen
Nur noch einmal im Jahr, zu Himmelfahrt, diente die kleine St. Annen-Kapelle in den letzten Jahren als Begegnungsort. In der Dorfgemeinde Krobitz im Saale-Orla-Kreis trafen sich die Menschen zum Gebet unter freiem Himmel, der sanierungsbedürftige Innenraum blieb ungenutzt.
Mit dem offenen Ideenaufruf ›STADTLAND:Kirche 2017‹, der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der IBA Thüringen kam die Wende: Der renommierte internationale Künstler Carsten Nicolai gab der romanischen Kirche aus dem 11. Jahrhundert ein musikalisches Herz. Eigens für die St. Annen-Kapelle aus entwickelte er eine skulpturale Arbeit: ›organ‹ ist im weitesten Sinne ein Musikinstrument, das von frühen Entwürfen sogenannter Flammenorgeln aus dem späten 18. Jahrhundert inspiriert ist.

Im Rahmen einer baulichen Grundsicherung wurde die Kapelle mit einfachen Mitteln denkmalgerecht saniert. Neben der Instandsetzung mit neuem Stampflehmboden wurde auch eine umlaufende Eichenholzbank installiert. Die von Carsten Nicolai konzipierte Flammenorgel fungiert im neuen Kirchenraum als räumlicher Mittelpunkt und künstlerischer Beitrag.

Die Feuerorgel hat zweireihig angeordnete Gasflammen. Produziert wurde sie von Frank Fietzek und Rob Feigel. Zeichnungsurheber: Frank Fietzek

Im Gegensatz zur klassischen (Kirchen-) Orgel erzeugen hier Flammen die Töne, indem sie die Luft in den Glaszylindern zum Schwingen bringen.

IBA Projektleiterin Ulrike Rothe im Gespräch mit dem Künstler Carsten Nicolai.
Das Kunstprojekt schafft einen starken Ort und verleiht der romanischen Kapelle, die einen Fixpunkt in der sanft anmutenden Landschaft im Saale-Orla-Kreis bildet, neue Strahlkraft. Die Feuerorgel Kapelle Krobitz ist das erste realisierte Projekt im Rahmen des offenen Ideenaufrufs 2017 ›STADTLAND:Kirche‹ und zeigt vorbildlich, wie eine kreative Co-Nutzung von Kirchenräumen das Gemeindeleben inspirieren und beflügeln kann: Mit dem Einbau hat die Kapelle eine zusätzliche Nutzung als Kunstraum erhalten und konnte seit ihrer Wiedereröffnung bereits eine große Besucherzahl in der von der Gemeinde und Kirchgemeinde betreuten Kapelle begrüßen.
Öffnungszeiten:
Auf Anfrage an anfragen@feuerorgel-kapelle-krobitz.de wird die Kirche für Gruppen geöffnet.

Die Idee für die Kunstkapelle in Krobitz ging hervor aus dem Ideenwettbewerb ›STADTLAND:Kirche‹ 2017 der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und der IBA Thüringen. Das IBA Vorhaben ist eins von insgesamt sieben Modellprojekten, die aus dem Ideenaufruf hervorgegangen sind.
250 Besucher:innen beim Tag des offenen Denkmals in der Kunstkapelle St. Anna in Krobitz
Zum Tag des offenen Denkmals kamen am 11. September 2022 bis zu 250 Besucher:innen zur Kunstkapelle St. Anna nach Krobitz und hatten die Gelegenheit, das Stück "Luft" des finnischen Komponisten Peter Lång an der Feuerorgel zu erleben. Begleitet wurde er durch die Sängerinnen/Stimme von Lisa Fornhammar und Madeleine Wulff und mit dem Cello und Gesang durch Sophia Günst.
Nähere Informationen finden sie unter https://www.luft-artofair.com/
Netzwerktreffen der Kirchen-Modellprojekte mit Gastvortrag von Prof. Dr. Thomas Erne
Neue Website kirchen-aufgeschlossen.de online
Sie sind identitätsstiftend und prägen fast immer das Ortsbild: 99 % der etwa 2000 evangelischen Kirchen in Thüringen stehen unter Denkmalschutz, sie sind ein bauhistorischer und kultureller Schatz. Doch die Pflege und Wahrung von Grundstücken, Pfarrhäusern und Kirchen wird angesichts des demografischen Wandels und abnehmender Kirchenmitglieder immer belastender. In Kooperation mit der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland (EKM) sucht die IBA Thüringen gemeinsam mit Partnern nach Strategien, leere, oder wenig genutzte Kirchen wieder mit Leben zu füllen.
Sechs Modellprojekte werden im Rahmen der Initiative ›aufgeschlossen: 500 Kirchen – 500 Ideen‹ derzeit auf dem Weg zur Umsetzung begleitet: Die soziokulturelle Zentrumskirche in der Martinskirche Apolda wird gesellschaftlicher Treffpunkt, die HER(R)BERGSKIRCHEN Thüringer Wald entlang des Rennsteigs bieten außergewöhnliche Übernachtungsmöglichkeiten und soziokulturelle Treffen an. Die St. Annen-Kapelle in Krobitz wurde mit einer gasbetriebenen Flammenorgel zur Kunstkapelle. Die Bienen-Garten-Kirche St. Peter und Paul in Roldisleben, ein meditativer Spielplatz in der Kirche St. Nicolai in Niedergebra und die Netzwerkkirche St. Johannis (digital und sozial) in Ellrich sind ebenfalls im Qualifizierungsprozess. Das Thema Gesundheit wurde von der Kirche St. Severi in Blankenhain bearbeitet.
Am Freitag, den 28. Januar 2022 trafen sich die Modellprojekte online. Sie folgten der Einladung der EKM und der IBA Thüringen. Gastgeberprojekt war die neue Turmher(R)berge in der Lutherkirche in Tambach-Dietharz, die letztes Jahr eingeweiht wurde. Die interne Veranstaltung richtete sich an alle Akteur:innen der Modellprojekte. Die rund 25 Teilnehmenden tauschten sich bei digitalen Kaffeegesprächen aus, nahmen an einem digitalen Rundgang durch die Turmher(R)berge teil und hörten den Gastvortrag „Strukturwandel gestalten: Ein Neuer Typus Kirche“ vom Leiter des Kirchbauinstituts der Universität Marburg, Prof. Dr. Thomas Erne.
Die Neue Website der Initiative - www.kirchen-aufgeschlossen.de - beschreibt die Geschichte und Projekte des Kirchen-Netzwerks und bietet Möglichkeiten für einen bundesweiten Austausch zumThema Mehrfachnutzung. Sie haben selbst eine Idee für Ihre Kirche oder möchten zeigen, was bei Ihnen bereits für eine Quernutzung entstanden ist? Dann melden Sie sich bei kirchen-aufgeschlossen.de.
Neue Website der St. Annen-Kapelle in Krobitz
Mit der Kunstkapelle St. Anna in Krobitz wurde 2017 das erste IBA Vorhaben offiziell fertig gestellt.
Durch Carsten Nicolais entworfenes Gesamtkunstwerk ›organ‹ sowie bauliche Eingriffen wie dem Auftragen eines Stampflehmbodens und dem Anbringen einer umlaufenden Eichenholzbank im Kirchenraum ist aus der lange Zeit ungenutzten romanischen Kappelle ein besonderer Ort mit großer Ausstrahlung entstanden.
Seit ihrer offiziellen Eröffnung 2017 hat sich die Kapelle aus dem 11. Jahrhundert zu einem öffentlichen Raum etabliert. Hier kann man Andacht halten, sich besinnen und aus der schnelllebigen Zeit treten. Hier treffen Baukultur und Klangkunst im Zusammenspiel von Raum und Licht aufeinander.
Auf der neuen Website feuerorgel-kapelle-krobitz.de werden Informationen zu Veranstaltungen, Hintergründe zur Feuerorgel und Kontaktmöglichkeiten zum ersten fertig gestellten IBA Vorhaben bereitgestellt.
Feuerorgel lockt Dresdner Musiker:innen für Improvisationskonzert nach Krobitz
Mit der Klanginstallation und skulpturalen Arbeit ›organ‹ wurde die lange Zeit ungenutzte St. Annen-Kapelle 2017 um eine zusätzliche Nutzung als Kunstraum ergänzt und konnte seither rund 2.600 Besuche nach Krobitz locken. Der Name des Kunstwerks von Carsten Nicolai ist dabei gleich in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Einerseits ist ›organ‹ eine moderne Interpretation der Feierorgeln des 18. Jahrhunderts, andererseits spielt Nicolai auf die Bedeutung der Orgel als kirchliches Instrument an. Indem ›organ‹ jedoch anders als in der sakralen Tradition üblich seinen Platz im Zentrum der Kirche einnimmt, wird es zum Herzstück und damit zum „Organ“, das die Kirche buchstäblich mit neuem Leben erfüllt.
Mit dem Gesamtkunstwerk ist in Krobitz ein besonderer Ort mit großer Ausstrahlung entstanden, der weitere Kunstschaffende anzieht, um mit dem ungewöhnlichen Instrument zu musizieren:
Anlässlich des ›Tags des offenen Denkmals 2021‹ veranstaltete die Neuen Dresdner Kammermusik ein Konzert in Krobitz, bei dem zum ersten Mal die Feuerorgel als gleichberechtigtes Musikinstrument bei der kammermusikalischen Aufführung von Werken zeitgenössischer, improvisierter Musik genutzt wurde. Mit Erlaubnis des Künstlers Carsten Nicolai sowie in Absprache mit den Orgelbauern wurde die manuelle Bedienung des Instruments vorbereitet.
In insgesamt vier unterschiedlichen Stücken konnten die Besucher:innen am 12. September 2021 den Interpretationen der Neuen Dresdner Kammermusik lauschen.
Ministerpräsident auf Thüringen-Tour macht Halt in Krobitz
Am letzten Tag seiner Thüringen-Tour 2020 besuchte Ministerpräsident Bodo Ramelow die St. Annen-Kapelle in Krobitz.

Bei der Besichtigung der ›Kunstkapelle‹, wie der aus dem 11. Jahrhundert stammenden, romanischem Bau auch bezeichnet wird, zeigte sich der Ministerpräsident tief beeindruckt von der Feuerorgel mit den zweireihig angeordneten Gasflammen.

Im Anschluss an die Besichtigung der Kirche bot sich die Möglichkeit des Austausches zwischen Ministerpräsident und den Projektbeteiligten, darunter Jan David (Freundeskreis Krobitz), Marcus Schmidt (EKM), Vertretern der IBA Thüringen sowie Christoph Backhaus (Pfarrer Kirchengemeinde Weira).
Unter dem Motto ›Land & Leute‹ ging Ministerpräsident Ramelow vom 20. bis zum 30. Juli 2020 auf Reisen quer durch ganz Thüringen, wo er rund 30 Ziele in allen Landkreisen des Freistaats besuchte. „Mit viel Kreativität, Fleiß und Erfolg treiben die Menschen im ländlichen Raum Thüringens ihre Projekte voran und zeigen an vielen Stellen, wie lebenswert das Land auch abseits der städtischen Zentren ist“, sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow in Hinblick auf das Programm der Thüringen-Tour.
Rückblick auf die 3. Saison 2019 in Krobitz
Auch im Jahr 2019 öffnete die St. Annen-Kapelle in Krobitz zu ihrer bereits dritten Saison die Türen für interessierte Besucherinnen und Besucher. Seit nunmehr drei Jahren beherbergt die Kapelle in Krobitz aus dem 11. Jahrhundert das Kunstobjekt ‚organ’ von Künstler und Musiker Carsten Nicolai. Der Künstler, der mit seinen Werken unter anderem auf der ‚documenta X’ und der 50. Biennale in Venedig vertreten war und internationales Renommee genießt, schuf ‚organ’ eigens für diesen Ort und komponierte ein eigenes Stück. Das Ergebnis ist eine beindruckende Licht- und Klanginstallation, die der romanischen Kapelle neue Strahlkraft verleiht.
Seit ihrer feierlichen Eröffnung 2017 haben etwa 2.600 Gäste aus aller Welt jeweils an den Wochenenden in den Sommermonaten die Orgel besucht. Ein Freundeskreis aus Anwohnern von Krobitz und Mitgliedern der Kirchengemeinde Weira hat sich gebildet, um die Kapelle weiterhin zu öffnen und die Orgel entsprechend zu betreuen. Veranstaltungen wie musikalische Interpretationen auf den Orgelklang von Carsten Nicolai oder auch eine Ausstellung mit Aquarellen der Kapelle wurden durchgeführt.
Die zahlreichen Besucher zeigen sich begeistert von dem minimal invasiven Eingriff, der es vermag mit so wenig Mitteln wie möglich und baukulturell dennoch so hochwertig, verschlossene Kirchenräume wie die Kapelle in Krobitz zu öffnen und wieder ins Bewusstsein der Menschen zu rücken.
Musikalische Intervention in Krobitz
Die fast 1.000 Jahre alte St. Annen-Kapelle in Krobitz bei Weira, die 2017 mit dem Kunstprojekt ›organ‹ von dem international bekannten Künstler Carsten Nicolai nach fast 60 Jahren wieder geöffnet wurde, öffnete auch 2018 von April bis September an jedem ersten Sonntag im Monat ihre Türen.
Höhepunkt der zweiten Saison war eine zeitgenössische musikalische Intervention der Leipziger Künstlerin Pina Rücker am 8. September 2018.

Sie reagierte mit Quarz-Glas-Schalen und der Dresdner Künstler Jan Heinke mit einem Stahlcello, Oberton-Gesang und verschiedenen Blashörnern auf die 12-minütige Komposition von Carsten Nicolai, die auf der gasbetriebenen Orgel mit 25 Glaspfeifen zu hören ist. Es entwickelte sich eine faszinierende Klang – und Raumkomposition in der alten romanischen Kapelle. Foto: Henry Sowinski

Insgesamt besuchten 2018 700 Gäste die St. Annen-Kapelle in Krobitz. Viele kamen aus den umliegenden Dörfern sowie aus den angrenzenden Städten wie Saalfeld und Jena. Aber auch aus Leipzig und Berlin und sogar aus Norwegen und Mexiko kamen Interessierte. Die Tore der St. Annen-Kapelle geöffnet, die gasbetriebene Orgel gewartet und über das IBA Projekt informiert haben die Mitglieder des Freundeskreises der kleinen Kirche, der sich 2017 gebildet hat. Foto: Henry Sowinski
Von einem erstaunlichen Resonanzraum
Interview mit Carsten Nicolai
organ ist der Titel einer skulpturalen Arbeit von Carsten Nicolai, die eigens für die aus dem 12. Jahrhundert weitgehend ursprünglich erhaltene St.-Annen-Kapelle in Krobitz/Weira in Thüringen entworfen wurde. Im weitesten Sinne ist diese Arbeit ein musikalisches Instrument, welches seine Inspiration auf frühe Entwürfe sogenannter Flammenorgeln aus dem späten 18. Jahrhundert bezieht. Im Gegensatz zur klassischen (Kirchen-)Orgel sind die Tonerzeuger hier Flammen, welche Töne erzeugen indem sie in Glaszylindern resonieren. organ besteht aus 25 modellierten akustischen Resonanzröhren, deren geometrische Formen sich am Modell der Kirchen- bzw. Pfeifenorgel orientieren. Als Orgelpfeifen werden Glaszylinder verschiedener Größe verwendet, die anstelle des im Orgelbau üblichen Luftstroms mithilfe kleiner Gasflammen zum Schwingen gebracht werden. Die besondere Faszination liegt darin, dass die Klangerzeugung nicht – wie bei der konventionellen Orgel – unsichtbar bleibt, sondern sichtbar wird.
Warum eigentlich diese doch recht kleine Kirche in Krobitz?
Ein Teil meiner Familie lebt in einem Dorf im Harzvorland, im ehemaligen Grenzgebiet, da gibt es eine kleine romanische Kirche, die faktisch nicht mehr genutzt wird. Die war im Grunde immer traumhaft intakt, ganz pur und nicht verbaut, aber mittlerweile auch über die Zeit vergessen worden. Als ich die Kirche in Krobitz sah, erinnerte mich diese sofort an jene. Wie schön diese beiden kleinen Kirchen gealtert sind. Übrig geblieben ist fast nur noch pure Architektur, die Räume erscheinen noch wie aus der Erbauungszeit. Und da ist natürlich dieses Zeitlose; wie wenn man vor alten Bäumen steht und sich fragt, wie viele menschliche Existenzen die überlebt haben. Heutzutage gehst du in ein Bauwerk und weißt, dass es wahrscheinlich nach 25 Jahren wieder abgerissen wird. Was mich aber sofort interessiert hat, ist die sehr menschliche Dimension dieser Kirche. Häufig sind Kirchen gotisch nach oben strebend. Die ganzen romanischen Kirchen hingegen transportieren nicht das Aufstreben, diesen Überzeugungsmoment, sondern bleiben in der Dimension des Menschen. Die Kirche hier ist ja nicht größer als ein Haus, eigentlich kleiner als ein Haus.
Für einen erklärt atheistisch gesinnten Künstler sind Kirchen sicher eine besondere Herausforderung.
Ursprünglich wollte ich das ganze auch viel radikaler angehen und den Kirchenraum komplett gestalten. Ich dachte sofort an Matisse oder Rothko, die Kirchenräume ausmalten, oder Le Corbusier, der als Atheist auch viele Kirchen planen durfte. Ich würde also ganz der Tradition der Moderne folgen. Irgendwann wurde mir aber bewusst, dass man die Räume besser belässt, wie sie sind. Ich hatte keine Lust mehr, große Eingriffe zu tätigen; also nicht nur aus Gründen des Denkmalschutzes kein Eingriff, sondern irgendwie hat mich die Stärke des Vorgefundenen, die Aura oder vielleicht die Patina beeindruckt. Die Kirche als ein mit Energie geladener Ort. Man will dann nicht unbedingt an das Gebäude, an die Substanz ran, sondern respektiert das Gebäude eben in seiner Aura. Ich wollte etwas hinzufügen, was dazu passt, etwas Ergänzendes. Also kam ich auf die Idee, etwas in dieses Haus hineinzustellen, das es schon immer gab, das mit der Tradition der Kirche verwoben ist. Und da ich mich viel mit Sound und Ton beschäftige, ist es für mich das viel Spannendere, ein Musikinstrument zu entwerfen als vielleicht ein eher bildliches Werk. Natürlich ist es in gewisser Weise langweilig, weil es so offensichtlich ist. Es reizte mich aber, die Idee der Orgel neu zu definieren, die Idee, eine andere Technologie zu benutzen als den Blasebalg. Von der Bauart her ist eine Feuerorgel auch keine Neuerfindung, die gab es schon parallel zur klassischen Orgel. Sie entstand, als man versuchte, alternative Klangerzeugnisse zu finden, was aber daran scheiterte, dass andere Standards erfolgreicher waren. Die Feuerorgel wurde ein klassisches loses Ende in der Technikgeschichte. Für uns war es eine Herausforderung und zugleich ein Experiment, da all die alten Feuerorgeln nicht mehr existieren. Von Gemeinden gab es natürlich immer das Bestreben, Orgeln in ihren Kirchen zu haben. Also manche haben eine, manche haben keine. Manche eine kleine, manche eine große, die sie nicht mehr repariert bekommen und wahrscheinlich noch eine kleinere daneben. Was mich bei einer Orgel immer schon gestört hat, ist, dass du immer nur diese Orgelpfeifen siehst, dass du aber nie genau weißt, wo der Sound herkommt.
Cover IBA Magazin #4
Kirchen sind akustisch vielleicht die kompliziertesten Orte. Sie haben einen derartig hohen Nachhall, eine so starke Resonanz auf bestimmten Frequenzen, dass man schnell versteht, dass ein Kirchenraum eben immer auch ein riesiger Resonanzraum ist.
Und was ist dann so neu an einer „Orgel“ in einer Kirche?
Dass die Orgel endlich mal da steht, wo man sie auch sehen kann. Die Orgel der Vergangenheit, diese wahnsinnig prunkvolle Orgel ist so eingebaut worden, dass man sie eigentlich nur beim Herausgehen sieht. Und vor allem ist sie immer mehr zu einem Einrichtungsgegenstand geworden oder vielmehr zu einem Dekorationselement. Bis heute. Der Zuhörer sieht nur noch die Pfeifen, weiß aber gar nicht, wo der Sound herkommt. Hier sitzt die Gemeinde jetzt drum herum, was auch ein bisschen die normale Unterteilung auflöst. Hier findet eine gewisse Demokratisierung statt. Alle treffen sich auf derselben Ebene, in ein- und demselben Raum. Quasi auch ein spätantiker Rückgriff, als man sich beim Bau der ersten Kirchen auf das Vorbild römischer Basiliken bezog, den Versammlungsort schlechthin. Die Kanzel ist zwar noch da, aber wenn man die Mitte mit diesem Instrument besetzt, hat man zugleich einen Zuschauerraum und einen Performanceraum, ein Theater.
Vor allem aber auch einen Akustikraum?
Kirchen sind akustisch vielleicht die kompliziertesten Orte. Sie haben einen derartig hohen Nachhall, eine so starke Resonanz auf bestimmten Frequenzen, dass man schnell versteht, dass ein Kirchenraum eben immer auch ein riesiger Resonanzraum ist. Er sollte ja schwingen bei den Menschen, als ein Verstärker letztendlich des Wortes und der Musik. Der religiöse Glaube der Menschen sollte insgesamt verstärkt werden. Der Kirchenraum ist mehr als ein klassisches Instrument, er ist eben ein Resonanzkörper.
organ weist ein weiteres klassisches Element der Kapelle auf: die Flamme, das ewige Licht.
Flammen haben jenseits der christlichen Symbolik eine ganz eigene Archaik. Die Urelemente Feuer, Wasser, Luft und Erde – im Grunde hat man dort alles vor Ort. organ spielt auf diese Grundelemente an. Wenn die Flamme beginnt zu resonieren, dann sieht man die Luft aufsteigen und die Flamme verändert ihre Farbe. Die spielende Flamme wird blau, die nicht spielende Flamme bleibt gelb. Der Besucher wird das Feuer mit dem Ton verbinden, man hat im Prinzip eine Visualisierung des Sounds, das ist das Schöne an diesem synästhetischen Aspekt. Die Flamme ist Lichtquelle und Feuerquelle zugleich. Im Winter wird organ die Kirche eben auch heizen. Zudem entziehen die Flammen der Umgebung Sauerstoff, es tritt also rudimentärer Sauerstoffmangel ein. Das wird aber bei der Kirche in Krobitz nicht so ganz passieren, weil sie altersbedingt zu porös ist.
Das klingt im besten Sinne archaisch, zeitlos und irgendwie auch meditativ.
Ja, es ist das, was man am Anfang am wenigsten dachte. Eigentlich ist es eine Zurückführung auf die ursprüngliche Nutzung solcher Räume. Das ist das Schöne.
Improvisationskonzert mit Matthias von Hintzenstern zur Kunstinstallation ›organ‹
Am Samstagabend, den 19. August 2017 reagierte der Musiker Matthias von Hintzenstern in einer freien Improvisation mit Violoncello und Obertongesang auf die Licht- und Klanginstallation ›organ‹ von Carsten Nicolai in der St. Annen-Kapelle in Krobitz bei Weira. Rund 30 Besucher fanden sich zu diesem besonderen Klangereignis in der kleinen romanischen Kapelle ein, sodass alle Plätze auf der neuen umlaufenden Eichenbank gut besetzt waren. Bürgermeister Martin Jacob der Gemeinde Weira in der Verwaltungsgemeinschaft Oppurg und Projektleiterin Ulrike Rothe von der IBA Thüringen begrüßten die Gäste, Matthias von Hintzenstern führte in die musikalische Improvisationskunst ein. Die Besucher waren von der außergewöhnlichen Klang-Reise begeistert. Bei Wein, Brot und Kräuterbutter sowie Speckfett, die Dank Heike Henke vom Gemeindekirchenrat Weira und Familie David aus Krobitz auf dem langen Tisch standen, wurden nach dem Konzert erste Ideen für Veranstaltungen für das nächste Jahr entwickelt.
Foto: Gernot Lindemann
Foto: Gernot Lindemann
Foto: Gernot Lindemann
Foto: Gernot Lindemann
Kunstprojekt ›organ‹ zieht rund 200 Besucher in lange verschlossene Kapelle
Am Wochenende 24./25. Juni 2017 wurde das Kunstprojekt ›organ‹ von Carsten Nicolai in der St.-Anna-Kapelle in Krobitz / Weira eröffnet. 200 interessierte Gäste kamen, um erstmals die nach Jahrzehnten wieder geöffnete rund 1000 Jahre alte romanische Kapelle mit der neuen Orgel und dem eigens dafür komponierten Musikstück zu erleben.
Der Tag der Eröffnung von ›organ‹ zeigte sich sommerlich und die zahlreichen Besucher aus Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Brandenburg, aber auch Melbourne / USA strömten gutgelaunt nach Krobitz. Mit dem Läuten der historischen Glocke in der Kapelle durch Klaus Meinhold vom Gemeindekirchenrat Weira begann am Samstagnachmittag das Fest. Der amtierende Superintendent Jörg Reichmann und die IBA Geschäftsführerin Dr. Marta Doehler-Behzadi begrüßten die Gäste. Heike Henke vom Gemeindekirchenrat und Bürgermeister Martin Jacob der Gemeinde Weira / Verwaltungsgemeinschaft Oppurg beantworteten schon am frühen Nachmittag die interessierten Fragen der Presse. Familie Scholz und Familie David aus Krobitz sicherten tatkräftig die Veranstaltung mit ab.
Im Anschluss konnten die Besucher die raumfüllende Klang- und Lichtkomposition auf den 25 Glaspfeifen der gasbetriebenen Orgel im behutsam erneuerten Kapellenraum hören, sehen und erleben.
Im Gespräch zwischen den weltweit bekannten und renommierten Künstler Carsten Nicolai und Ulrike Rothe von der IBA Thüringen erfuhr man, warum dieser besondere Ort und die alte Kapelle ausgewählt wurde, wie die Idee einer gasbetrieben Orgel und die Komposition entstand, wie ein gemeinsamer Prozess zwischen dem Künstler und Vertretern der Kirchengemeinde und Gemeinde Weira / Krobitz sowie der EKM und IBA Thüringen sich entwickelte und welche Perspektiven mit der Öffnung der Kapelle möglich sind.
Mit dem Gesamtkunstwerk ‚organ’ und den baulichen Eingriffen wie dem Auftragen eines Stampflehmbodens und dem Anbringen einer umlaufenden Eichenholzbank in der Kapelle ist im Sinne der IBA Baustelle LeerGut ein besonderer Ort mit großer Ausstrahlung in einer landschaftlich geprägten Region Thüringens entstanden. Die Kapelle wird zu einem öffentlichen Raum, wo man Andacht halten und sich besinnen oder aus der heute oft schnelllebigen Zeit treten kann, aber auch Baukultur und Klangkunst, im Zusammenspiel von Raum und Licht auf ganz neue Weise erfährt.

Rund 200 Besucher kamen zum Eröffnungswochenende der skulpturalen Arbeit ‚organ’ nach Krobitz. Foto: Thomas Müller

Die Kunstkapelle St. Anna in Krobitz ist im Rahmen der IBA Kandidatur der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland entstanden.

Die St.-Anna-Kapelle in Weira stammt aus dem 11. Jahrhundert. Foto: Gernot Lindemann

Lange Jahre war die St.-Anna-Kapelle ungenutzt und für die Öffentlichkeit unzugänglich. Foto: Thomas Müller

IBA Projektleiterin Ulrike Rothe im Gespräch mit dem Künstler Carsten Nicolai.

Das von Carsten Nicolai geschriebene Stück dauert etwa zwölf Minuten. Foto: Thomas Müller

Im Gegensatz zur klassischen (Kirchen-) Orgel erzeugen hier Flammen die Töne, indem sie die Luft in den Glaszylindern zum Schwingen bringen.

Foto: Thomas Müller

Foto: Gernot Lindemann
Elke Bergt von der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland dankte am Ende des Gespräches allen, die am Vorhaben mitgewirkt und dieses unterstützt sowie gefördert haben. Dazu zählen der Künstler Carsten Nicolai mit seinem Team von yamaguchi-ufficio d’arte und WERKSTATT 4, die Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Weira / Krobitz mit dem amtierenden Superintendent und Pfarrer, die politische Gemeinde Weira, die Kulturstiftung des Bundes, das Regionalmanagment LEADER des Saale-Oral-Kreises mit dem Amt für Landesentwicklung und Flurneuordnung Gera, das Architekturbüro nitschke+kollegen, die Tischlerei Herden und der Stampflehmbauer Hoppert Handwerk & Design sowie der Restorator Olaf Lindner, das Büro für Szenografie chezweitz und das Team der IBA Thüringen sowie der EKM.
Bei frischen Sauerteigbrot und Altenburger Ziegenkäse mit Lauchzwiebeln sowie Roséwein und Apfelsaft aus der Region klang der Sommerabend zum Johannisfest beim Feuer aus. Erfüllt von dem Kunstwerk ‚organ’ und der St.-Anna-Kapelle fuhren die Gäste beeindruckt, angeregt und beflügelt nach Hause, um wieder zu kommen!
OTZ: Feuer, Licht und Klänge in der St.-Annen-Kapelle in Krobitz
Gelungene Eröffnung der Ausstellung ›500 Kirchen 500 Ideen‹
Rund 200 Besucherinnen und Besucher haben am 13. Mai 2017 die Vernissage zur Ausstellung ›500 Kirchen 500 Ideen 2017‹ gefeiert. Die Ausstellung vereinigt hunderte Ideen zur künftigen Nutzung von Kirchengebäuden, die 2016 bei einem Ideenaufruf gesammelt wurden.
Zur Vernissage begrüßte Pfarrer Dr. Tilman Cremer die Teilnehmenden in der Erfurter Kaufmannskirche. Elke Bergt, Leiterin des Baureferats der EKM, beschrieb die Ausgangssituation, mit der die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland auf die Suche nach Nutzungsideen für ihre Kirchengebäude ging. IBA Geschäftsführerin Dr. Marta Doehler-Behzadi betonte den notwendigen innovativen Umgang mit dem Leerstand in Thüringen. In ihren Beiträgen verwiesen Dr. Kirsten Haß von der Kulturstiftung des Bundes, Diethard Kamm, stellvertretender Landesbischof, und Elke Harjes-Ecker von der Thüringer Staatskanzlei auf die Notwendigkeit und Stärke von Beteiligungsprozessen, die das Projekt mit der Ideensuche kennzeichnen. Die Augustinerkantorei unter Leitung von Dietrich Ehrenwert sorgte für die musikalische Umrahmung und lud die Besucher zum Mitsingen ein. Dr. Sonja Beeck vom Büro für Szenografie chezweitz, das den Aufruf kuratiert und die Ausstellung gestaltet hatte, eröffnete mit einem Countdown die Präsentation. An 25 Monitoren konnten die Besucher nun die Videos der eingesandten Ideen ansehen.
Weitere neue Ideen wurden vor der Kirche von den Besuchern an einem gelben Häuschen produziert: Der ›Ideengenerator‹ des Künstlerkollektivs ›Die philosophischen Bauern‹ bot eine spielerische Möglichkeit, Lösungen für den Leerstand von Kirchen zu entwickeln.

Hunderte Ideen wurden 2016 zum Ideenaufruf eingereicht, viele davon als Video. Foto: Thomas Müller

Vor der Kirche steht ein gelbes Haus, an dem die Besucher kreativ werden und neue Nutzungsvorschläge für Kirchengebäude entwickeln können: Der Ideengenerator. Foto: Thomas Müller
Mehr Bilder auf gibt es hier.
Momentan keine Termine
- Evangelische Kirche in Mitteldeutschland
- Kirchgemeinde Weira
- Freundeskreis Feuerorgel Kapelle Krobitz
- Gemeinde Krobitz/Weira in der VG Oppurg
- Kulturamt Neustadt an der Orla
- Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie
- Kulturstiftung des Bundes
- LEADER/ELER (LEADER-Aktionsgruppe Saale-Orla e.V.)
- Stiftung KiBa
- IBA Thüringen
- Carsten Nicolai, Berlin
- WERKSTATT 4, Berlin
- yamaguchi - ufficio d'arte, Berlin
- nitschke + kollegen architekten, Weimar
- Büro für Szenografie chezweitz, Berlin
- FUTOUR Markteingkonzept, Müchen
- Tom Unverzagt Kommunikationsdesign, Leipzig
- WERKSTATT 4, Berlin
- yamaguchi - ufficio d'arte, Berlin
- Tischlerei Herden - Holzarbeiten, Weira
- handwerk & design Hoppert - Stampflehmboden, Oppurg
- Matthias von Hintzenstern
- Pina Rücker
- Jan Heinke
- Neue Dresdner Kammermusik
Ulrike Rothe
Projektleiterin
Telefon +49 3644 51832-13
ulrike.rothe@iba-thueringen.de