Apolda, MA Martinskirche
Soziokultureller Treffpunkt: Gemeinde, Stadt und Diakonie öffnen Kirchenraum für vielfältige Nutzungen
Zu den 2017 ausgewählten Modellprojekten des offenen Ideenaufrufs STADTLAND:Kirche der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und der IBA Thüringen gehört auch das Soziokulturelle Zentrum in der Martinskirche, eine von zwei Stadtkirchen in Verantwortung der Kirchgemeinde Apolda. Sie steht am Rande des grünen Kantplatzes mit Anschluss an die belebte Fußgängerzone der Stadt. In den letzten Jahrzehnten war hier das Kunstgutdepot der Landeskirche untergebracht. Mit dessen Wegzug entstand ein Freiraum für neue Ideen. In Kooperation mit der benachbarten Diakonie soll ein Markt der Möglichkeiten mit Angeboten für kulturelle und soziale Angebote geschaffen werden.
Der imposante Raum des Langschiffs der Martinskirche fungiert momentan als Lager und Archiv, der vordere Teil wird liturgisch genutzt. 2020 suchten die Kirchgemeinde Apolda, die EKM und die IBA nach Entwürfen für den Umbau des Kirchenschiffs aus dem Jahr 1119. Das Leipziger Architekturbüro Atelier ST ist mit seinem Entwurf eines zweigeschossigen Neubaus auf Betonstützen als Favorit hervorgegangen.

Die Pläne für den Umbau der Martinskirche zum soziokulturellen Zentrum wurde zum ›Tag des offenen Denkmals 2021‹ durch ein Modell von Atelier ST vor Ort in Apolda präsentiert. Foto: Atelier ST

Mit einem neuen Rautengewölbe aus weiß lasiertem Brettschichtholz soll ein Haus im Haus errichtet werden, das dem alten Gemäuer neues Leben einhaucht. Foto: Atelier ST

Die Innovationskraft liegt in der Einfachheit der architektonisch-räumlichen Idee, die das Verhältnis von Leerraum umkehrt. Der Bestand wird nur minimal tangiert. Die offene Struktur sorgt für natürliches Licht in den neuen Räumen sowie für eine einzigartige Korrespondenz zwischen Bestand und Neubau. Foto: Atelier ST
Der IBA Fachbeirat hat am 5. März 2021 für die Martinskirche in Apolda den IBA Projektstatus empfohlen.

Die Idee für die Nutzungserweiterung der Martinskirche Apolda ging hervor aus dem Ideenwettbewerb ›STADTLAND:Kirche 2017‹ der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und der IBA Thüringen. Das IBA Vorhaben ist eins von insgesamt sieben Modellprojekten, die aus dem Ideenaufruf hervorgegangen sind.
Netzwerktreffen der Kirchen-Modellprojekte mit Gastvortrag von Prof. Dr. Thomas Erne
Neue Website kirchen-aufgeschlossen.de online
Sie sind identitätsstiftend und prägen fast immer das Ortsbild: 99 % der etwa 2000 evangelischen Kirchen in Thüringen stehen unter Denkmalschutz, sie sind ein bauhistorischer und kultureller Schatz. Doch die Pflege und Wahrung von Grundstücken, Pfarrhäusern und Kirchen wird angesichts des demografischen Wandels und abnehmender Kirchenmitglieder immer belastender. In Kooperation mit der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland (EKM) sucht die IBA Thüringen gemeinsam mit Partnern nach Strategien, leere, oder wenig genutzte Kirchen wieder mit Leben zu füllen.
Sechs Modellprojekte werden im Rahmen der Initiative ›aufgeschlossen: 500 Kirchen – 500 Ideen‹ derzeit auf dem Weg zur Umsetzung begleitet: Die soziokulturelle Zentrumskirche in der Martinskirche Apolda wird gesellschaftlicher Treffpunkt, die HER(R)BERGSKIRCHEN Thüringer Wald entlang des Rennsteigs bieten außergewöhnliche Übernachtungsmöglichkeiten und soziokulturelle Treffen an. Die St. Annen-Kapelle in Krobitz wurde mit einer gasbetriebenen Flammenorgel zur Kunstkapelle. Die Bienen-Garten-Kirche St. Peter und Paul in Roldisleben, ein meditativer Spielplatz in der Kirche St. Nicolai in Niedergebra und die Netzwerkkirche St. Johannis (digital und sozial) in Ellrich sind ebenfalls im Qualifizierungsprozess. Das Thema Gesundheit wurde von der Kirche St. Severi in Blankenhain bearbeitet.
Am Freitag, den 28. Januar 2022 trafen sich die Modellprojekte online. Sie folgten der Einladung der EKM und der IBA Thüringen. Gastgeberprojekt war die neue Turmher(R)berge in der Lutherkirche in Tambach-Dietharz, die letztes Jahr eingeweiht wurde. Die interne Veranstaltung richtete sich an alle Akteur:innen der Modellprojekte. Die rund 25 Teilnehmenden tauschten sich bei digitalen Kaffeegesprächen aus, nahmen an einem digitalen Rundgang durch die Turmher(R)berge teil und hörten den Gastvortrag „Strukturwandel gestalten: Ein Neuer Typus Kirche“ vom Leiter des Kirchbauinstituts der Universität Marburg, Prof. Dr. Thomas Erne.
Die Neue Website der Initiative - www.kirchen-aufgeschlossen.de - beschreibt die Geschichte und Projekte des Kirchen-Netzwerks und bietet Möglichkeiten für einen bundesweiten Austausch zumThema Mehrfachnutzung. Sie haben selbst eine Idee für Ihre Kirche oder möchten zeigen, was bei Ihnen bereits für eine Quernutzung entstanden ist? Dann melden Sie sich bei kirchen-aufgeschlossen.de.
Auftakt für die Projektentwicklung zum Soziokulturelle Zentrum
Am 18. November wurde die Martinskirche in Apolda zum einmaligen Veranstaltungsort: Im Rahmen der Lost-Place Sessions erfüllten die Bands hubris. und SOJUS3000 das historische Kirchenschiff der Martinskirche in einem Konzert der besonderen Art mit Musik. Mit dieser Auftaktveranstaltung wurde eine neue Phase der Um- und Neunutzung der Kirche eingeleitet. Hervorgegenagen aus dem offenen Ideenaufruf ›STADTLAND: Kirche 2017‹ von EKM und der IBA Thüringen und gemeinsam mit den Projektpartner:innen soll die Martinskirche nach Plänen des Architeturbüros Atelier ST zu einem vielfältigen Begegnungsort werden. Zum Konzert öffnete die Martinskirche nach langer Zeit wieder seine Türen und lud Besucher:innen und Musikinteressierte ein, während der Live-Musik das einzigartige Raumgefühl des alten Kirchenschiffs zu erleben.
Martinskirche zum ›Tag des offenen Denkmals 2021‹ geöffnet
Ob Schlösser, Wohnhäuser, Kirchen oder Industriegebäude, die Vielfalt deutscher Denkmäler ist genauso abwechslungsreich wie die Orte an denen sie zu finden sind. Zum ›Tag des offenen Denkmals‹ am 12. September öffneten wieder einzigartige Orte und Architekturen ihre Tore für Besucher:innen.
Unter den historischen Stätten, die von allen Neugierigen besichtigt werden konnten, war auch die Martinskirche in Apolda. Hervorgegangen aus dem offenen Ideenaufruf der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und IBA Thüringen soll in der Martinskirche in Kooperation der örtlichen Gemeinde mit der benachbarten Diakonie ein Markt der Möglichkeiten mit Angeboten für kulturelle und soziale Angebote geschaffen werden. Am ›Tag des offenen Denkmals‹ konnten Interessierte die Kirche von 13 bis 17 Uhr besichtigen.
Buchtipp: Ein neuer Typus Kirche
Sie sind identitätsstiftend und ortsbildprägend: 99 Prozent der etwa 2.000 evangelischen Kirchen in Thüringen stehen unter Denkmalschutz. Sie sind ein bauhistorischer und kultureller Schatz. Doch die Pflege und Wahrung von Grundstücken, Pfarrhäusern und Kirchen wird angesichts des demografischen Wandels und abnehmender Kirchenmitgliederzahlen immer schwieriger.
Um die Kirchen als wertvolle Baudenkmale und spirituelle Orte erhalten zu können, müssen also neue Wege gefunden werden, sie wieder mit Leben zu füllen. In Thüringen haben sich seit 2016 unter der Schirmherrschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der IBA Thüringen engagierte Kirchgemeinden mit Akteurinnen und Akteuren vor Ort vernetzt, um die Nutzung ihrer Sakralbauten neu zu denken und sich dem Wandel von Kirche zu stellen.
Der zweite Band der Reihe StadtLand:Kirche stellt diese ambitionierten Projekte von Mehrfachnutzungen wie die HER(R)BERGSKIRCHEN Thüringer Wald, die Bienen-Garten-Kirche in Roldisleben oder das geplante soziokulturelle Zentrum in Apolda vor und bettet sie ein in den Kontext der großen Fragen nach dem ländlichen geprägten Raum Thüringens und seiner Zukunft. Man begreift aber den innovativen Wert dieser Modellprojekte erst, wenn der Prozess anschaulich wird, der ihre Realisierung begleitet. So formuliert sich der Fokus des Buches: Geschildert wird der interdisziplinäre Prozess, die Erfolge und auch die Misserfolge, welche zu mutigen Projekten dazugehören. Vor allem wird deutlich, was möglich ist, wenn sich die Kirche öffnet und der Zivilgesellschaft die Hand reicht. So entsteht ein neuer Typus Kirche!
Die Publikation enthält unter anderem Beiträge von: Reinhard Blomert, Heinz Bude, Susanne Dähner, Marta Doehler-Behzadi, Thomas Erne, Volker Gerhardt, Sonja Keller, Hansjürgen Küster, Hartmut Leppin und Geert Mak.
Herausgeber: Jürgen Willinghöfer
Im Auftrag der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und des EKD-Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Philipps-Universität Marburg und in Kooperation mit der IBA Thüringen.
208 Seiten, 150 farb. Abb.
ISBN 978-3-86859-699-1, € 38,00 (DE), jovis Verlag: Erhältlich im Buchhandel oder direkt bei jovis.
Fachbeirat empfiehlt IBA Projektstatus für Martinskirche Apolda
IBA Kandidat wird, wer gute Ideen und Konzepte für das StadtLand vorweisen kann. In einem anschließenden Qualifizierungsprozess mit Workshops, Studien, Wettbewerben und ersten Planungen reifen diese Ideen zu Projekten, an die ein hoher Maßstab angelegt wird. IBA Projekte sollen für die Entwicklung Thüringens und darüber hinaus Referenz und Vorbild sein.
Der IBA Fachbeirat hat am 5. März für die Martinskirche in Apolda den IBA Projektstatus empfohlen.
Favorisierter Entwurf für Umbau und Sanierung der Martinskirche Apolda
Das Leipziger Architekturbüro Atelier ST des Architektenduos Silvia Schellenberg–Thaut und Sebastian Thaut ist Favorit bei der Mehrfachbeauftragung für die Martinskirche in Apolda.
Der 1119 erstmals erwähnte Kirchenbau im Herzen Apoldas zählt zu den ältesten Gebäuden der Stadt. Aufgrund der aktuell geringen Anzahl an Gemeindemitgliedern und einem generellen Rückgang von Kirchgängern wird derzeit jedoch nur die kleine Kapelle als Ort sakraler Nutzung herangezogen. Der imposante Raum des Langschiffs der Martinskirche steht leer. Er fungiert momentan als Lager und Archiv.
Im Rahmen des offenen Ideenaufrufs 2017 der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und der IBA Thüringen wurden über 500 Ideen zur Belebung von wenig bis gar nicht genutzten Kirchengebäuden gesammelt. Zu den ausgewählten Modellprojekten gehört auch die Kirche St. Martin in Apolda.
Aufgabe der Mehrfachbeauftragung war es, den Ort und das Bauwerk mit neuem Leben zu füllen. Dafür sollten die Leerräume der Kirche und ihre Freianlagen in ein soziokulturelles Zentrum umgewandelt werden. Konkret waren Probe- und Übungsräume, Sitzungssäle, Büros, Räume für Jugend- und Kinderarbeit, Toiletten usw. in die Substanz bzw. als Ergänzung an diese unterzubringen.
Das favorisierte Konzept des Ateliers ST sieht vor, ohne Eingriffe in die tragende Bausubstanz ein Haus im Haus zu errichten. Der Grundgedanke des Entwurfs ist, den Raum der Kirche von den heute nicht mehr sinnvoll nutzbaren Emporen zu befreien und in diesen Raum ein quasi schwebendes Objekt zu implantieren. Der karge Raum der Kirche bleibt vollkommen erlebbar, gewinnt aber durch das eingesetzte Volumen eine einzigartige und dramatische Qualität, die durch die Führung des Lichts noch einmal unterstrichen wird.

Der favorisierte Entwurf des Ateliers ST für die Martinskirche Apolda. Visualisierung: Atelier ST
Im Erdgeschoss ensteht ein offener, für zahlreiche Aktivitäten, Inszenierungen, Ausstellungen frei verfügbarer Raum, der wie eine innenräumliche Piazza funktioniert, der offen ist zum Garten, aber prinzipiell auch offen sein kann zum sonstigen umliegenden Stadtraum, von dem her Aktivitäten aufgenommen, ja in der Kirche konzentriert werden können. Diese Multivalenz und Offenheit ist einem soziokulturellen Zentrum sehr gemäß. Der Raum kann temperiert werden, je nach den Erfordernissen des jeweiligen Gebrauchs.
Der in und über diesem Raum „schwebende“ Körper wiederum nimmt eine Reihe von Funktionen der Gemeinde auf, ist kompakt, ganzjährig und permanent nutzbar, weil vollständig beheizbar. Die gewählte Figur des Implantats folgt streng, ja minimalistisch, den funktionalen und statischen Erfordernissen und bezieht auch daraus eine unikale und zeichenhafte Qualität. Der Körper stützt sich einerseits ab auf die Erschließungselemente der Treppe und des Aufzugs, wodurch die Gemeinderäume barrierefrei erreichbar sind. Er stützt sich andererseits ab auf eine massive, asymmetrisch im Raum stehende Stütze wie ein „Fuß“, die den Boden aber nur minimal berührt, und einen „Arm“ als Erschließungs- und Fluchtweg von und zu der außen liegenden Treppe der Kirche. Der freischwebende Betonkörper gerät derart in eine nahezu archaisch schöne Wechselbeziehung zum umgebenden alten Mauerwerk der Kirche.
Die Jury ist nach intensiver Diskussion zu der einstimmig getroffenen Entscheidung gelangt, dem Bauherrn die Arbeit des Atelier ST Leipzig zur Realisierung zu empfehlen und das Architekturbüro mit der Planung zu beauftragen.
Insgesamt würdigt das Berater- und Sachverständigengremium die herausragende räumliche, atmosphärische und symbolische Qualität des Entwurfs. Die Belange des soziokulturellen Zentrums seien in diesem Projekt ebenso abgebildet, wie die Erfordernisse der Kirchgemeinde. Zudem schaffe die Figur der Lösung ein nahezu einzigartiges Bild, das verspricht, die Martinskirche weithin zu einer Ikone der modernen Kirchenumnutzung werden zu lassen.
Momentan keine Termine
- Evangelische Kirche in Mitteldeutschland
- Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde Apolda
- Evangelischer Kirchenkreis Apolda-Buttstädt
- Diakoniewerk Apolda gGmbH
- Stadt Apolda
- Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie
Ulrike Rothe
Projektleiterin
Telefon +49 3644 51832-13
ulrike.rothe@iba-thueringen.de