Die Entwicklung und Umsetzung regionaler Energiekonzepte treibt auch in Thüringen Unternehmer, Stadtentwickler und Bürgermeister um. 22 dieser Regionalentscheider starteten jetzt zu einer dreitägigen Exkursion in das österreichische „ökoEnergieland“ und brachten zahlreiche Ideenansätze mit. „In Güssing wurden die ersten Erneuerbaren Energieanlagen in den 90er Jahre zur dezentralen Versorgung einer ganzen Stadt installiert. Aber nicht nur das, neben der Produktion von Energie, befinden sich auch Forschung und Entwicklung sowie Ausbildung zum Solateur und Energiemanager am Standort, der mittlerweile zum Europäischen Zentrum für Erneuerbare Energien (EEE) avanciert ist,“ kommentiert die Exkursionsleiterin Prof. Dr. Marion Eich-Born, Geschäftsführerin der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen GmbH.
Am 24. September 2012 brachen die Exkursionsteilnehmer von Weimar aus in das über 800 Kilometer entfernte Südburgenland auf. Reiseziel war die inzwischen weltweit bekannte Region Güssing. In diesem klein strukturierten, ländlichen und von Abwanderung geprägten Landstrich vollzog sich in den letzten 20 Jahren ein beispielhafter Imagewandel. 1988 zur ärmsten Region Österreichs erklärt, scheint heute hier nicht nur an 300 Tagen im Jahr die Sonne. Die nahezu energieautarke Strahlkraft Güssings zieht jährlich allein 30.000 Ökotouristen an. Gab man 1988 in Güssing noch 35 Millionen Euro für Energie pro Jahr aus, so bleiben heute davon 22 Millionen in der Region. Das Kommunalsteueraufkommen stieg von 340.000 Euro im Jahr 1993 auf 1,5 Millionen Euro im Jahr 2009. „Wer nichts zu verlieren hat, denkt innovativ und wagt etwas“, berichtet Bernhard Deutsch. Als Bürgermeister der Marktgemeinde Strem und Projektmanager des Europäischen Zentrums für Erneuerbare Energie (EEE) in Güssing kennt er die Erfolgsgeschichte aus erster Hand. Dabei sah es zunächst nicht erfolgversprechend aus. Als die Gemeinde 1990 den Atomenergieausstieg beschloss, war das Gelächter landesweit groß. Heute ist die 4.300 Einwohner-Stadt energetisch unabhängig und gewann zusätzlich 1.100 Arbeitsplätze sowie 50 Unternehmensneuansiedlungen dazu. Die gesamte Wertschöpfung bleibt in der Region. Sie versorgt ihre Einwohner mittels Biomasse und Solarenergie und wird dadurch noch zum Energieexporteur. Auch die CO2-Emissionen konnten von 37.000 Tonnen im Jahr 1996 auf 22.500 Tonnen im Jahr 2009 reduziert werden.
Zur rechten Zeit kamen in Güssing 1992 die richtigen Ingenieur-Visionäre in Person des Bürgermeisters Peter Vadasz und Reinhard Koch zusammen, die überzeugten und handelten. „Menschen sind geld- und komfortorientiert, deshalb wählten wir das Finanzierungsmodell der Genossenschaft“, erklärt Ingenieur Koch, der auch mehrere Energieerzeugungsanlagen in und um Güssing betreibt. „Erneuerbare Energie ist grundsätzlich einfach. Einfacher als eine Kläranlage. Es ist eine Frage des Wollens.“ Um die Energiekonzepte erfolgreich umsetzen zu können, bedarf es eines kompetenten Energiemanagers. Dieser Studiengang wurde parallel zur Weiterentwicklung des Energiestandortes in das Portfolio des Europäischen Zentrums für Erneuerbare Energie aufgenommen, ebenso die Ausbildung zum Solateur. Ab 2013 werden in Güssing neun Studiengänge unter der Regie der in den großen Städten angesiedelten Universitäten installiert. Die Ausbildung zu EE-Technologien beginnt aber schon früher in einer eigens eingerichteten Solarschule für Jugendliche. Aber nicht nur das: Das neu errichtete Technologiezentrum beherbergt auch 23 Forscher und Entwickler, die die Pilotanlagen beständig evaluieren und bei Bedarf die Technik nachjustieren. 39 Demoanlagen gibt es vor Ort - von der Fernwärme-, über die Biogasanlage bis hin zum weltweit einzigartigen Biomassekraftwerk. Aus 18 Gemeinden entstand der Verein „ökoEnergieland“, der die notwendige Überzeugungsarbeit für den energetischen Wandel leistet, schließlich ist er mit erheblichen Investitionen in ein 300 Kilometer Biogasnetz verbunden. Gastankstellen sollen in jedem Ort errichtet werden.